Der ganze Bach in einer Messe

News vom 20.10.2017

Der Dirigent Ton Koopman über die h-Moll-Messe, die zu den Schätzen der Staatsbibliothek gehört und nun auch zum Memory of the world – Drei Konzerte mit den Berliner Philharmonikern.

Ton Koopmann © Eddy Posthuma

Sie lagert bei 18 Grad Celsius und fünfzig Prozent Luftfeuchtigkeit im Tresor der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin: die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Am 27. Oktober 2017 erfährt dieses berühmte Autograph eine ganz besondere Würdigung. Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, erhält von der Deutschen UNESCO-Kommission die Urkunde der UNESCO zur Aufnahme der Partitur in das Register des UNESCO-Weltdokumentenerbes Memory of the World. Zur gleichen Zeit bereitet sich in der Berliner Philharmonie Ton Koopman auf das erste der drei Konzerte mit den Berliner Philharmonikern vor, bei denen die vielleicht bedeutendste geistliche Komposition erklingen wird. Elmar Weingarten, der seit kurzem den Freunden des Musikinstrumenten-Museums vorsteht, sprach mit dem niederländischen Dirigenten über dies gewaltige Stück Bach.  

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat Carl Friedrich Zelter Bachs h-moll Messe als „das größte Kunstwerk, das die Welt je gesehen hat" gepriesen. Was ist das Außerordentliche an diesem Werk?

Die einzelnen Teile der h-Moll Messe stammen aus unterschiedlichen Schaffensperioden. Das Besondere an diesem Werk ist, dass der frühe Bach und der späte Bach sich harmonisch und nahtlos zueinander fügen. Es ist ein Werk, das den ganzen Bach zusammenfasst. Bis heute wissen wir nicht sicher, wofür Bach die Messe geschrieben hat, wo sie zum ersten Mal aufgeführt worden ist. Ganz sicher hat Zelter sie nie zu seinen Lebzeiten in seiner Gesamtheit aufgeführt erlebt. Die Partitur jedoch hat er gekannt.

Johann Sebastian Bach hat diese Messe am Ende seines Lebens zusammengestellt. Der Sohn, Carl Philipp Emanuel, hat sie als „große catholische Messe" in die Welt gebracht. Das geistliche Werk Bachs ist sicher durch und durch lutherisch geprägt. Ist diese Messe für Sie ein „katholisches" Kunstwerk oder ist sie „überkonfessionell"? Und das nicht nur, weil sie als ein Meisterwerk in allen Konzertsälen der Welt heimisch geworden ist.

Ich interpretiere das Wort „catholisch“ in diesem Zusammenhang als „Missa tota“ im Gegensatz zur Missa brevis, die auch die lutherische Liturgie kennt. Eine Messe des Umfangs der h-Moll Messe ist im Rahmen der lutherischen Liturgie nicht denkbar und ist auch im Rahmen der katholischen Liturgie ungewöhnlich. Sie ist mit ihrer Dauer von fast zwei Stunden einfach keine normale Messe. Johann Sebastian Bach selbst hat sie nur in Teilen gehört.

Gibt es für Sie als Dirigenten bei der Interpretation dieser Messe eine Grundleitlinie der sie folgen? Gibt es ganz besondere Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, anders beispielsweise als bei den Passionen?

Für mich als Dirigenten besteht die grösste Herausforderung darin, diese höchst unterschiedlichen Texte, die so genial von Bach vertont worden sind, als ein Werk aus einem Guss, als ein in sich geschlossenes Werk zu realisieren. Und gleichzeitig die ungeheuer vielfältigen Dimensionen dieser Messe zu offenbaren, die lieblichsten, die traurigsten und die fröhlichsten Momente.

Die Fragen stelle Elmar Weingarten.

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