Zerstörung von Kulturgut ist ein Kriegsverbrechen

News vom 24.04.2017

Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates hält fest: Der Schutz des kulturellen Erbes ist auch ein sicherheitspolitisches Problem. Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, zu den Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft.

Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin
© Staatliche Museen zu Berlin - Vorderasiatisches Museum / Olaf M. Teßmer

Herr Hilgert, Sie sind Mitglied im Stiftungsrat der International Alliance for the Protection of Heritage in Conflict Areas. Der UN-Sicherheitsrat hat im März eine Resolution zum Schutz von Kulturgut verabschiedet. Worin liegt die besondere Bedeutung dieser Resolution?

Die Resolution 2347 ist die bislang weitreichendste Resolution des Sicherheitsrates, was das bedrohte kulturelle Erbe und den Schutz von Kulturgut angeht. Sie ist so wichtig, weil das Thema aus dem kulturpolitischen Bereich heraus endlich auch auf eine sicherheitspolitische Ebene gehoben worden ist. Damit erhält das Thema höchste Relevanz für die internationale Staatengemeinschaft: Man muss es nun auch im größeren Kontext des Völkerrechts betrachten, das sich mit Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Völkerrechts befasst. In der Resolution 2347 wird zum ersten Mal explizit festgehalten, dass die Zerstörung von Kulturgut auch ein sicherheitspolitisches Problem ist, das die Entwicklungschancen von Ländern nachteilig beeinflusst.

Zum ersten Mal besteht also auf internationaler Ebene ein völkerrechtlich fundierter Konsens darüber, dass Kulturgüter geschützt werden müssen, dass etwas gegen den internationalen Handel mit Kulturgütern getan werden muss. Verbrechen gegen Kulturgüter können jetzt auch als Kriegsverbrechen, ja sogar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt und geahndet werden.

Das bedeutet eine Aufwertung des Themas Kulturgutschutz auf weltpolitischer Ebene. Das politische Bewusstsein hat sich in den letzten Jahren enorm gewandelt – die Tatsache, dass es eine Woche nach der Verabschiedung der Resolution zum ersten Mal ein Treffen der Kulturminister der G7 in Florenz gegeben hat, wo es auch um die Frage ging, was die sieben wirtschaftsstärksten Nationen der Welt gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern tun können, zeigt dies sehr deutlich.

Aus verschiedenen Ländern kommen Initiativen zur staatenübergreifenden Zusammenarbeit – was muss die internationale Gemeinschaft tun, um das kulturelle Erbe im Krisenfall zu schützen?

Die Koordinierung der einzelnen Maßnahmen muss unbedingt verstärkt werden. Momentan ist zu beobachten, dass bei tatsächlicher Bedrohung des kulturellen Erbes in Krisenregionen eher zu viele Akteure weitgehend unkoordiniert nebeneinander aktiv werden. Es fehlt an Austausch, und es fehlt an Koordinierung – diese kann nur international geleistet werden. Dies setzt aber natürlich auch bestimmte Standards beim Vorgehen in Konfliktsituationen voraus.

Außerdem muss international ein besseres Qualitätsmanagement der durchgeführten Maßnahmen entwickelt werden. Und wenn wir heute davon sprechen, dass beispielsweise stärkere Bewusstseinsbildung auch im politischen Bereich betrieben werden soll, stellt sich die Frage, welche Fachleute das auf welche Weise am besten erreichen können. Neben dem Koordinierungsproblem gibt es also auch noch ein Expertise- und Qualitätsmanagement-Problem. Eine weitere Herausforderung ist es, die entsprechenden finanziellen Mittel bereitzustellen, um diese gigantische Aufgabe überhaupt bewältigen zu können.

Liegt hier die Chance für neue Partnerschaften, von Fonds wie „Aliph“, der International Alliance for the Protection of Heritage in Conflict Areas, in dessen Stiftungsrat Sie berufen worden sind?

Aliph ist eine Weiterentwicklung des Schutzes von Kulturgut auf finanzieller Ebene, der die Resolution 2347 des Sicherheitsrates auf politischer Ebene vorangegangen ist. Zu dem verstärkten internationalen Sicherheitsbewusstsein treten jetzt also Versuche, die finanziellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass solche Resolutionen überhaupt umgesetzt werden können. Aliph, initiiert von Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten und unterstützt auch von privaten Stiftungen und Unternehmen, ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Public-Private-Partnership funktionieren kann, die Maßnahmen für den Kulturgutschutz in Krisensituationen fördert und finanziert:

Solche Partnerschaften sammeln einerseits finanzielle Mittel, die damit einhergehenden Kampagnen dienen aber andererseits immer auch der Bewusstseinsbildung in Öffentlichkeit und Politik. Hier sehe ich eine große Chance des neuen Fonds: Wenn er Projekte erfolgreich fördert, kann er dadurch neue Förderer interessieren, gleichzeitig die Öffentlichkeit auf die Problemlagen aufmerksam machen und darüber hinaus zur Etablierung bestimmter Standards beitragen, die zum Beispiel eine entsprechende Abstimmung von Maßnahmen mit internationalen Organisationen wie der UNESCO beinhalten. Geld wäre hier also ein Hebel, zwei der großen Herausforderungen, die ich vorhin angesprochen habe, zu bewältigen, nämlich die Etablierung von Qualitätsstandards und die internationale Koordination von Maßnahmen.

Aliph hat momentan einen finanziellen Umfang von schon 80 Millionen Euro, und wir haben natürlich die Hoffnung, dass noch mehr Mittel hinzukommen. Ich bin außerdem Mitglied in der Advisory Group des bereits 2015 eingerichteten Fonds der britischen Regierung, ein Cultural Protection Fund, in dem 30 Millionen Pfund vorhanden sind. Die große Aufgabe der Fachleute aus den kulturbewahrenden Einrichtungen in diesen Beiräten ist es, dafür zu sorgen, dass hier nicht nur symbolpolitisch bedeutsame Maßnahmen finanziert werden. Es müssen auch Methoden erarbeitet werden, mit denen man beispielsweise effektiv gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern vorgehen oder Technologien wie die 3D-Technologie wirklich global und effektiv einsetzen kann.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört zu den kulturbewahrenden Institutionen, die Sie gerade eben angesprochen haben. Welche Handlungsmöglichkeiten haben solche Institutionen im Bereich des Kulturgutschutzes? 

Kulturbewahrende Einrichtungen leisten unverzichtbar wichtige Arbeit in der Bewusstseinsbildung, denn sie sind Schnittstellen zur Öffentlichkeit, die es an dieser Stelle zu erreichen gilt. Sie können sich Kampagnen wie der UNITE4HERITAGE-Kampagne der UNESCO anschließen, einer Kampagne zur Bewusstseinsbildung gerade auch bei jüngeren Menschen. Auf die Bedrohungen kultureller Vielfalt kann und sollte eigentlich jede Kultureinrichtung hinweisen: Im Bereich des illegalen Handels beispielsweise ist Deutschland leider ein bedeutender Marktstaat, und Kultureinrichtungen können hier durchaus dazu beitragen, diese Situation zu verändern. Sie müssen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür schaffen, dass blindes oder gewissenloses Kaufen ohne ethische Standards tatsächlich auch Kultur zerstört – zwar nicht primär in Deutschland, aber in Ländern wie Irak, Syrien, Mali, Jemen und vielen anderen, wo Kulturerbestätten für den Handel geplündert werden. Ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen, ist auch deswegen unverzichtbar, weil wichtige politische Entscheidungen am ehesten gefällt werden, wenn es einen entsprechenden Druck der Öffentlichkeit gibt.

Abgesehen von Kriegs- und Krisensituationen, worin bestehen Ihrer Ansicht nach besondere Herausforderungen für den Kulturgutschutz im Inland?

Zunächst ist es wichtig, dass so umfassend wie möglich Pläne für Notfälle entwickelt werden, beispielsweise für den Fall von Naturkatastrophen. In solchen Fällen muss klar sein, wohin Kulturgüter sicher verbracht werden können, und dass eine Gesellschaft auch in der Lage ist, die notwendigen Kompetenzen dafür aufzubringen. Das berührt natürlich auch das wissenschaftspolitische Feld, denn hier muss man sich auf nationaler Ebene so organisieren, dass die Kompetenzen, die notwendig sind, um Kulturgut effektiv zu schützen, auch vorhanden sind. Die „kleinen Fächer“, die diese Expertise bereitstellen können, müssen gestärkt und ausgebaut werden, das reicht von den Altertumswissenschaften über die Restaurierungswissenschaften bis hin zu den Rechtswissenschaften und vielen anderen Gebieten. Auch hierfür muss erst einmal ein entsprechendes Bewusstsein in Öffentlichkeit und Politik geschaffen werden.

Die Fragen stellte Kristina Heizmann

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