Internationale Museumskonferenz: Sammlungsinstitutionen zwischen Krise und Kreativität

News vom 28.06.2022

Das Ibero-Amerikanische Institut, das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin und das Museu Nacional diskutierten gemeinsam in Rio de Janeiro über zukünftige Chancen und Herausforderungen von Museen, Bibliotheken und Archiven.

Bildercollage aus zwei Bildern. Links spricht eine Frau zu einer Gruppe sitzender Männer, rechts mehrere Personen mit Bauhelm auf einer Baustelle
Fotos: Barbara Göbel

Am 2. September 2018 wurde das 200 Jahre alte Nationalmuseum Brasiliens in Rio de Janeiro (Museu Nacional da Universidade Federal do Rio de Janeiro, UFRJ) durch einen verheerenden Großbrand fast vollständig zerstört. Bei dem Feuer ging auch ein Großteil der herausragenden naturwissenschaftlichen und ethnographischen Sammlungen von rund 20 Millionen Objekten unwiederbringlich verloren – darunter einmalige Zeugnisse indigener Kulturen und historische Aufzeichnungen ihrer Sprachen. Seit dem Brand unterstützen das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut zusammen mit weiteren Partnern in Deutschland das Museu Nacional bei den Restaurierungsarbeiten, dem Wiederaufbau des Gebäudes sowie dem internationalen Austausch zum neuen Entwicklungskonzept des Museums.

Vom 2. bis 4. Juni 2022 richteten das Goethe-Institut und das Museu Nacional (UFRJ) mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine Internationale Museumskonferenz in Rio de Janeiro aus. Sie wollte einen interkulturellen, multi-institutionellen Raum des Dialogs und der Vernetzung schaffen, um gemeinsam über die gesellschaftlichen Herausforderungen von Sammlungsinstitutionen zu diskutieren. Hierzu wurden Vertreter*innen von Sammlungsinstitutionen sowie kulturellen und wissenschaftlichen Mittlerorganisationen aus Deutschland, Europa, Brasilien und Lateinamerika eingeladen. Wichtig war hierbei die Präsenz indigener Expert*innen, da sie die unterschiedlichen kulturellen Perspektiven auf Dinge und Sammlungen verdeutlich hat.    

Die Konferenz fand in hybrider Form im Museu de Arte Rio (MAR) statt und legte einen Schwerpunkt auf partizipative Formate. Sie hatte zum Ziel, neue Konzepte und Strategien zu entwickeln, damit naturkundliche und ethnologische Museen sich den gesellschaftlichen Herausforderungen besser stellen können, kollaborativer und durchlässiger werden und die Vielfalt von Wissenspraktiken umfassender einbeziehen, besonders im Kontext der digitalen Transformation. Weitere Themen waren Museen im Spannungsfeld der Gesellschaft, Sammlungen und Archive sowie Zukunft der Museen und Nachhaltigkeit.

Im Rahmen der Konferenz fand auch eine Besichtigung der Maßnahmen zum Wiederaufbau des Museu Nacional statt.

Multiple kulturelle Perspektiven und Aushandlungsräume

Im Vorfeld der Konferenz organisierte das Ibero-Amerikanische Institut zusammen mit dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin und dem Museu Nacional (UFRJ) den Workshop “Knowledge, Things and Practices: Multiple Perspectives –Multiple Negotiations”. Er wurde finanziell vom Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt unterstützt. Die Gruppe der Ko-Organisator*innen bestand aus den Sozial- und Kulturanthropolog*innen Carlos Fausto (Museu Nacional), Barbara Göbel (Ibero-Amerikanisches Institut), Andrea Scholz (Ethnologischen Museum, SMB) und Thiago da Costa Oliveira (Fellow der Gerd Henkel Stiftung) sowie der Botanikerin Maria Franco Trindade Medeiros (Museu Nacional). Es wurden außerdem Kooperationspartner aus anderen brasilianischen Museen eingeladen sowie des Verbundprojektes Mecila mit Hauptsitz in São Paulo. Als Nachwuchswissenschaftler*innen nahmen Studierende, unter ihnen auch indigene Studierende, der in Lateinamerika renommierten Postgraduiertenprogramme in Sozial- und Kulturanthropologie und Botanik teil.

Im Zentrum des Workshops stand die Auseinandersetzung mit multiplen kulturellen Perspektiven und Wissenspraktiken und den damit einhergehenden unterschiedlichen Logiken der Erforschung, Verwaltung und Präsentation von Objekten und Sammlungen. Als eine zentrale Herausforderung wurde dabei die Überwindung historisch gewachsener Unterscheidungen zwischen verschiedenen Objekttypen (Text, Bild, Ton, ethnographisch-historische Objekte, „Natur“- und „Kultur“-Objekte) und Sammlungseinrichtungen (Museen, Bibliotheken, Archive) identifiziert. In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, welche Formate und Praktiken der Zusammenarbeit notwendig sind, um diese multiperspektivische Logik nachhaltig in Sammlungsinstitutionen zu verankern. Auch die Chancen und Risiken der digitalen Transformation, u.a. die Herausforderungen der digitalen Exklusion, wurden diskutiert.   

Der Workshop bot wertvolle Anknüpfungspunkte auch im Kontext des von der Bundeskulturstiftung geförderten Verbundprojekts „Vernetzen–Verstehen–Vermitteln: Amazonien als Zukunftslabor“ (2020–2023), in dem alle drei Institutionen zusammenarbeiten. Das BMBF-geförderte Verbundprojekt (2020–2026) „Maria Sibylla Merian Centre Conviviality-Inequality“ in dem das Ibero-Amerikanische Institut den Forschungsbereich „Medialities of Conviviality“ koordiniert, schuf weitere Verbindungen zu den Schwerpunkten des Workshops.

Die Ergebnisse des Workshops sind in dem Panel „Crisis and Creativity: Rethinking Collecting Institutions“ der Museumskonferenz vorgestellt und mit einem breiteren Publikum diskutiert worden.

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