Ferruccio Busoni beim Briefeschreiben

Busoni Between the Lines

Article

reading time: approx.  min

Busoni's papers, bequeathed to the Staatsbibliothek zu Berlin, demonstrate that the city's long-time resident was a man of many talents. A virtuoso pianist, he wrote in seven languages, sketched caricatures on hotel napkins, and envisaged the music of the future.

Ferruccio Busoni was born 150 years ago. Since September 2016, he has been back on Berlin's cultural scene. To celebrate this anniversary, the exhibition “BUSONI. Freedom for Music!” is being held jointly by the Kunstbibliothek (Art Library), the Staatsbibliothek zu Berlin (Berlin State Library), and the Staatliche Institut für Musikforschung (State Institute for Music Research). To find out more, we talked to its curator, Marina Gordienko.

I went to meet Ms. Gordienko in the Music Department of the Staatsbibliothek zu Berlin. It contains papers from the estates of around 480 composers and musicians. The largest of them is, without doubt, the Busoni estate. Ms. Gordienko began work on it ten years ago, drawing up a catalogue of the contents and preparing them for study by scholars. Altogether it comprises 360 musical manuscripts, 180 textual manuscripts and libretti, 600 concert programs and reviews, and 600 photographs. There are also around 9,000 letters, including 2,000 written by Busoni himself, many of them with lovingly drawn illustrations. In addition to musical compositions, Ms. Gordienko shows me a selection of his correspondence as we browse through the archive. Among the recipients are leading lights of the avant-garde, including those from outside Berlin and even outside Europe. Busoni kept up a regular correspondence with such figures as the composer Arnold Schönberg, the author Stefan Zweig, and the painter Umberto Boccioni. These priceless documents reveal Busoni to be not only a talented author and composer, but above all a visionary who was keen to share his thoughts on the music of the future with his fellows around the world.

Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin

The Music Department holds the largest music collection in Germany – and one of the most important in the world. This includes autograph manuscripts by important composers, as well as many bequeathed estates, permanent loans, and collections of letters written by figures in the world of music. In addition, the department is involved in national open-access projects and has a large collection of specialist literature available to scholars, as well as other services.

Ferruccio Busoni beim Briefeschreiben
© Staatsbibliothek zu Berlin – PK
Busoni und Kollegen
left to right: Oskar Fried, Ferruccio Busoni, Frederick Stock, Egon Petri, Arthur Bodanzky, Wilhelm Middelschulte, Arrigo Serato, Hermann Draber © Staatsbibliothek zu Berlin – PK
Der Unterricht (1903)
Busoni and a student: The Lesson (1903) © Staatsbibliothek zu Berlin – PK

Der sarkastische Widerspenstige

Der Komponist schrieb mit Leidenschaft: Oft zierten bis zu 10 Seiten am Stück die Hotelbögen seiner Bleiben in den Kulturzentren der Welt. Besonders aufschlussreich sind die 800 privaten Briefe an seine Frau Gerda. Selbstreflexiv lässt er sie an allen absurden Erlebnissen und widrigen Umständen des Alltags teilhaben. Beim Abendbrot im Hotel beobachtet er einmal eine traurige Gestalt am Nebentisch, die verloren ihre Suppe löffelt, zeichnet sie flink auf seinen Block und kommentiert das Ganze mit den Worten: „Hier in Essen schmeckt das Essen auch nicht so gut”.

Dass Ironie und Sarkasmus dem Komponisten nicht fremd waren, zeigt auch seine Kurzoper „Arlecchino”. Der Titelheld aus Busonis Oper Harlekin ist eine moralisierende Figur und ein ironischer Kommentator. Den passenden Brief zum Werk kennt Marina Gordienko: In einem Schreiben an die Pianistin Margarete Klinckerfuß erzählt Busoni von Kritik am beißenden Ton seiner Oper. Der aktive Zuhörer hätte selbst bemerken müssen: Komponist und Harlekin sprechen mit einer Stimme.

Auch der Pianist Busoni hat große Erwartungen an sein Publikum: In Chicago regiere das Geld und man höre ihm nicht zu, beschwert er sich zuhause. Er ist mit der bloßen Rolle als nachschaffender Künstler unzufrieden. Aus Wut malt er der Stadt ein neues Wappen: Vor einem brennenden Schlachthof fressen sich Schweine gegenseitig auf.

Der heimatverbundene Reisende

Von Moskau über Helsinki nach Wien: Busoni ist rastlos und ruhelos. Er muss sich mit wochenlangen Konzertreisen abfinden, nicht selten besucht er bis zu drei Länder pro Woche. Besonders in den USA fällt ihm der Verzicht auf die Familie schwer. Zwar lässt er sich in Amerika von Experimenten mit elektronischen Klängen inspirieren, unter anderen von den Musikerkollegen Wilhelm Middelschulte und Bernhard Ziehn, und entwickelt Ideen zu einer Dritteltonmusik. Dazu werden Originalskizzen mit Skalen in der Ausstellung präsentiert. Dennoch beschreibt Frau Gordienko ihn nicht als Kosmopoliten, sondern als umtriebigen Europäer, der sich an seine multinationalen Wurzeln gebunden fühlte.

Berlin ist Busonis letzte Station. 1894 kommt er an und bleibt 30 Jahre. Nur im Krieg verlässt er die Stadt Richtung Schweizer Exil. Busoni zieht das Leben in der deutschen Kulturmetropole der Provinz vor. In einem Brief aus Bologna drückt er seinen Unmut über die in seinen Augen unkultivierte Atmosphäre dort aus: Die dörflichen Menschen verstünden nichts von seinem Metier. Freudig kehrt er 1920 in die Wahlheimat Berlin zurück und folgt der Berufung als Vorsteher der Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste. Seine großzügige Wohnung am Viktoria-Luise-Platz nutzt er vor allem als „selbstloser und leidenschaftlicher“ Musikpädagoge, so Gordienko. „Als Förderer der begabten Jugend gibt er eine Erfahrung weiter, die auch er einst als Kind erleben durfte.“ Das zeige sein Nachlass immer wieder, meint die Kuratorin. Ein ausgestellter Brief wird etwa zeigen, wie der berühmte Franz Liszt seine Mutter darum bat, das Wunderkind Busoni einmal spielen hören zu dürfen. Eine seltene Chance für den kleinen Ferruccio.

Der vernetzte Workaholic

Die Freude am beruflichen Austausch wird in Busonis Leben immer Priorität haben, seine Korrespondenzen konzentrieren sich auf unter den Nägeln brennende Spezialfragen. „Wie das bei Künstlern oft der Fall ist, verliefen die Gespräche zumeist auf beruflicher Basis.“ Frau Gordienko beschreibt, Busoni sei durch seine bewegte Lebensweise allein zeitlich nicht in der Lage gewesen, tiefe Freundschaften zu pflegen. Während er zu Kollegen phasenweise intensiven Kontakt hat, etwa während einer Illustrationszusammenarbeit mit Karl Walser, ist der Charakter des Briefwechsels mit seiner Frau Gerda ein anderer: er wirkt wie ein Erlebnistagebuch und in den Briefen an sie ist eine tiefe Verbundenheit zu spüren. Unter tausend spannenden Briefen findet sich wohl nur eine wahre Freundschaft: jene zu seiner geliebten Gerda.