Alexander Dückers, ehemals Direktor des Kupferstichkabinetts

Vereint im neuen Haus

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Vom Gefühl, die größte grafische Sammlung Europas wieder unter einem Dach zu haben, erzählt Alexander Dückers, 1990 Direktor des Kupferstichkabinetts.

Die Zusammenführung der bei den Sammlungen des Kupferstichkabinetts war eine riesige Herausforderung, trotz mancher Gemeinsamkeiten, die sich über mehrere Jahrzehnte erhalten hatten. Jedes Mal, wenn ich vor der Wende den östlichen Teil der Sammlung besuchte, sah ich mit einer gewissen Wehmut, dass auf der Museumsinsel die Sammlungskästen mit den Zeichnungen und Graphiken genauso aussahen wie jene in Dahlem. Auch die traditionelle Inventarisierung war gleichermaßen in Ost und West beibehalten worden. Dadurch gab es bei den Nachkriegserwerbungen zahlreiche Blätter mit identischer Inventarnummer, was bei der Identifizierung zu großer Verwirrung führen musste. Um dieses Problem zu lösen, entschieden wir, dass die Inventarnummern der östlichen Sammlung handschriftlich mit einem „AM“ für „Altes Museum“ ergänzt wurden.

Die weitaus kompliziertere Aufgabe stellte die Wiederzusammenführung der Bestände selbst dar. Es gab etwa 200.000 Blätter im Osten und 450.000 im Westen der Stadt, wobei die verschiedenen Sammlungsbereiche unterschiedlich aufgeteilt waren. Die Zeichnungen vor 1800 befanden sich zu neun Zehnteln im Westen und einem Zehntel im Osten.

Alexander Dückers, ehemals Direktor des Kupferstichkabinetts
Alexander Dückers © SPK / Werner Amann
Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte. Oper von Wolfgang Amadeus Mozart. Entwurf zur Dekoration. Die Sternenhalle der Königin der Nacht, 1815
© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Alexander Dückers

Geboren 1939 in Aachen
Von 1984-2002 Direktor des Kupferstichkabinetts (West-Berlin), später des vereinigten Hauses

Besonders schmerzlich war in den Jahren der Teilung die Zersplitterung verschiedener bedeutender Werkgruppen gewesen. Auseinandergerissen waren etwa die Zeichnungen von Botticelli, Grünewald und Watteau oder die Druckgrafik von Edvard Munch. Die Kleinformate von Munch waren im Westen, die Großformate im Osten. Erst nach der Wiedervereinigung wuchsen sie wieder zusammen, übrigens zum weltweit bedeutendsten öffentlichen Munch-Bestand außerhalb Oslos.

Eine der Schwierigkeiten bei der Zusammenführung der gewaltigen Bestände ergab sich aus der Vielfalt der Gattungen, der Aufbewahrungsweisen und der unterschiedlichen Maße. Die wertvollsten Zeichnungen besaßen damals wie heute Passepartouts. Sie werden in Kästen aufbewahrt, während viele andere Blätter auf Papierbögen aufgezogen sind, die in Kartonmappen liegen. Hinzu kamen eine große Zahl an gerahmten Arbeiten, Inkunabeln, illustrierte Bücher, über 100 illuminierte Handschriften des Mittelalters und der Renaissance, hunderte Einzelminiaturen und etwa 2.000 Druckplatten zur Herstellung von Originalgrafik.

Um die beiden fragmentierten Sammlungen im Neubau am Kulturforum wieder zu vereinen, war zuerst eine präzise und vor allem vollständige Bestandsaufnahme notwendig. Die Vorbereitung des Umzugs habe ich selber verantwortet. Ich wusste ja, wie die Schränke im neuen Gebäude aussehen – wir hatten sie selbst zusammen mit dem Innenarchitekten entworfen – und wie viele Mappen dort hineinpassen. Also bekam jede Mappe, aber auch manches Einzelblatt, einen Aufkleber mit dem Hinweis auf den künftigen Standort, mit der genauen Bezeichnung des Schranks, dem Ort innerhalb des Schranks und so weiter, sodass beim Umzug alles sofort an der richtigen Stelle eingeordnet werden konnte.

Alle mit dieser logistischen Mammutaufgabe betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Sammlungen mussten minutiös arbeiten, die komplette Bestandsaufnahme hat etwa ein Dreivierteljahr gedauert. Der große Aufwand war nötig, denn wenn in einer Sammlung solchen Umfangs ein Stück an die falsche Stelle gerät, ist es möglicherweise für Jahrzehnte unauffindbar und die Ordnung der Sammlung ist das Fundament für die Arbeit jedes Museums.

Ein sehr schöner und auch emotionaler Moment war für mich die Eröffnung des Neubaus im Frühjahr 1994. Unter den Berliner Staatlichen Museen war das Kupferstichkabinett das Erste, das nicht nur institutionell, sondern auch faktisch wiedervereinigt war. Es gab eine umfangreiche Ausstellung mit dem Titel „Vereint im neuen Haus – Meisterwerke aus zehn Jahrhunderten im Berliner Kupferstichkabinett“ und es erschien als groß angelegte Publikation ein Handbuch zur Sammlung, das zum ersten Mal einen Überblick über den Gesamtbestand gab.

Von den späteren Früchten der Wiedervereinigung will ich nur zwei nennen. Zum einen die Botticelli-Ausstellung mit allen erhaltenen Zeichnungen zur „Göttlichen Komödie“ im Jahr 2000. Zum anderen die Ausstellung mit sämtlichen Grünewald-Zeichnungen im Jahr 2008. Beides waren großartige Unternehmungen, die für mich bis heute nichts an Strahlkraft verloren haben. Sie sind Beispiele dafür, dass sich das Berliner Kabinett mit der Wiedervereinigung – neben den Häusern in London, Paris und Wien – wieder als eine der vier überragenden grafischen Sammlungen in Europa etabliert hat.

Kupferstichkabinett

Das Kupferstichkabinett am Kulturforum beherbergt ein Universum der „Kunst auf Papier" mit Meisterwerken von Sandro Botticelli über Albrecht Dürer, Rembrandt und Vincent van Gogh, Ernst Ludwig Kirchner und Pablo Picasso bis hin zu Andy Warhol und Gerhard Richter.
Es beherbergt Werke aus 1.000 Jahren Kunst-, Kultur- und Mediengeschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die Sammlung umfasst etwa 550.000 druckgrafische Arbeiten und 110.000 Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle und Ölskizzen.

Website des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin