Sabine Dettmann, Grafikerin in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin

Die Revolution entlässt ihre Typometer

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Schöne neue Arbeitswelt: Wie sie nach der Wende den PC für sich entdeckte, erzählt Sabine Dettmann, 1989 Grafikerin im Alten Museum.

Es war schon nach zehn Uhr abends, als mich Freunde anriefen und sagten, dass die Mauer offen sei. Ich habe damals in Pankow gewohnt und bin direkt los, mit der voll besetzten Straßenbahn zur Bornholmer Straße. Am Grenzübergang stand ich zunächst unschlüssig herum, denn ich befürchtete, nicht mehr zurückgelassen zu werden, wenn ich rübergehe. Erst als ich zufällig einen Arbeitskollegen traf, haben wir uns gemeinsam in den Westen getraut.

An der Bornholmer Brücke habe ich dann Freunde getroffen, die standen da und weinten vor Freude. Wir sind uns sofort in die Arme gefallen und ich bin auch in Tränen ausgebrochen, was ich eigentlich total blöd fand. Denn immer, wenn man zu DDR-Zeiten im Fernsehen sah, wie Leute in den Westen kamen, liefen da gleich die Tränen, das fanden wir total peinlich. Und jetzt ging es uns selbst so, weil wir emotional völlig überwältigt waren. Nach dieser langen Zeit der Agonie, des Stillstandes und der Hoffnungslosigkeit ist endlich etwas in Gang gekommen – das Gefühl war nicht in Worte zu fassen.

Die Freunde habe ich bald im Gedränge der Menschen verloren und bin noch allein weitergegangen, doch am Ende der Brücke war es stockdunkel, kein Laden, keine Kneipe, nichts. Also habe ich gedacht: „Gut, warst du mal im Westen“, und bin wieder nach Hause gefahren. Ich frage mich heute noch, wie andere Ost-Berliner es in der Nacht geschafft haben, zum Kudamm zu kommen. Ich hätte gar nicht gewusst, wo das liegt oder wie man dahinkommt.

Am nächsten Morgen bin ich ganz normal zur Arbeit gefahren und dieser Tag war eigentlich noch besser. Von nun an war klar, dass die Grenzen tatsächlich offen sind.

Sabine Dettmann, Grafikerin in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin
Sabine Dettmann © SPK / Werner Amann

Sabine Dettmann

Geb. 1955 in Schneeberg
Seit 1978 Aufsicht im Ägyptischen Museum (Ost-Berlin). Von 1983-1985 Grafikerin im Alten Museum, Studium, ab 1989 in der Generaldirektion der Staatlichen Museen.

Ein junger Kollege ist gar nicht erst zur Arbeit gekommen, der rief nachmittags an, er sei in Kreuzberg versackt. An dem Tag war das völlig egal, da hat sich niemand um Arbeitszeiten gekümmert. Es herrschten Euphorie und Aufregung. Das hielt ein paar Wochen an, in denen man auch mal in Ruhe rüberging und die 100 Westmark Begrüßungsgeld ausgab, die ja jeder bekam. Später gab es allerdings schon Skepsis und Bedenken: Was wird aus den Betrieben und Fabriken, werden die Leute alle ihre Arbeit verlieren? Mir war aber von vornherein klar: Museen kann man nicht abwickeln, also war mein Arbeitsplatz sicher.

In dieser Zeit kam die Leiterin der Abteilung Verlag und Werbung aus West-Berlin zu uns ins Alte Museum. Sie war auf der Suche nach Leuten für ihre Abteilung und bot mir an, bei ihr als Grafikerin anzufangen. Sie sagte, ich könne dann mit Computern arbeiten – ich war sofort Feuer und Flamme.

Das war wie eine parallele Revolution: Bis ’89 waren meine Arbeitsmittel Papier, Skribent, eine Rechenscheibe, ein Typometer, Deckweiß, Tusche und Abreibebuchstaben gewesen. Entwürfe mussten auf Papier so skizziert werden, dass man sich vorstellen konnte, wie es hinterher im Druck aussieht. Fotos musste man selbst auf die entsprechende Größe hochrechnen. Für die Reinzeichnung hat man die gesetzten Zeilen aufgeklebt und mit der Hand Linien eingezeichnet oder unsaubere Stellen abgedeckt.

Nach dieser langen Zeit der Agonie, des Stillstandes und der Hoffnungslosigkeit ist endlich etwas in Gang gekommen – das Gefühl war nicht in Worte zu fassen.

Ich kam nach Dahlem und habe dort zum ersten Mal am Computer gearbeitet. Das war zwar am Anfang auch nicht viel schneller, weil es keine Layout- oder Bildbearbeitungsprogramme gab. Aber mich hat das Unmittelbare daran fasziniert, dass man etwas entwerfen und es dann direkt ausdrucken und vervielfältigen konnte.

In der DDR mussten wir immer von jedem Schild, jeder Beschriftung direkt so viele Exemplare anfertigen, wie tatsächlich benötigt wurden. Es gab zwar das Kombinat Robotron, das Computer herstellte. Die waren aber nicht für normale Anwender gedacht, sondern für die Industrie. Computer für die private Nutzung, das war in der DDR nicht vorstellbar – es gab ja nicht mal Videorekorder.