Angelika Wesenberg, ehemals Kustodin an der Alten Nationalgalerie

Da konnten alle ein bisschen Träumen

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Angelika Wesenberg berichtet, wie die Kuratoren der Museen in Ost-Berlin den Aufstand probten.

Was ist die Wende? War die Wende der 9. November? Für mich hat das Gefühl von Aufbruch viel früher begonnen. Die dramatische, auch irgendwie romantische Phase begann lange vor dem Mauerfall – und sie endete spätestens mit der offiziellen Zusammenlegung der beiden Museumsteile.
Von 1974 an habe ich in Köpenick am Kunstgewerbemuseum gearbeitet, und nachdem ich mich lange darum bemüht hatte, kam ich 1988 endlich an die Nationalgalerie. Hier herrschte ein anderes Klima. Das Kunstgewerbemuseum hatte gute Kontakte zu den West-Kollegen. Die Nationalgalerie, immer schon das Flaggschiff der Nation, schon unter dem Kaiser, war da strenger – dafür aber gab es sehr aufgeschlossene und interessante Kollegen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt waren aber bewusst auch neue Mitarbeiter reingesetzt worden, um das Haus auf Linie zu bringen. Es gab also zwei Gruppen, die Belegschaft war gespalten.

Die Hoffnung auf Veränderung begann schon bald nach meinem Wechsel. Ich erinnere mich, dass wir zu dritt oder zu viert zu einer Versammlung Richtung Alex gegangen sind, in den Verband bildender Künstler. Alle waren ganz aufgeregt, und es wurde darüber diskutiert, wie der Verband zu verändern sei. Neue politische Gruppen waren damals schon sehr aktiv, sie hatten bereits Schattenkabinette gebildet. Man dachte nicht an eine Wiedervereinigung, sondern an eine andere DDR. Und das für möglich zu halten, nenne ich heute romantisch.

In den Museen ging es um Fragen der Mitbestimmung, um die Ausstellungsgestaltung oder den Wunsch, mehr im Team zu arbeiten. Mit Eugen Blume, erinnere ich mich, habe ich einen Aufruf ans Schwarze Brett gehängt, wenige Stunden später war er wieder weg.

Die Aufbruchstimmung gipfelte dann in der großen Demonstration auf dem Alex am 4. November, bei der wir viele Kollegen trafen. Als dann die Mauer fiel, waren die Erwartungen natürlich groß. Die Machthaber waren geschwächt und neue noch nicht da. Da konnten alle ein bisschen träumen. Es gab in vielen Abteilungen Aufforderungen an die Direktoren, sich der Vertrauensfrage zu stellen. Es gab auch sehr früh die Idee des runden Tisches. Das war auf die Dauer natürlich illusorisch.

Angelika Wesenberg, ehemals Kustodin an der Alten Nationalgalerie
Angelika Wesenberg © SPK / Werner Amann
Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel
© Staatliche Museen zu Berlin / Maximilian Meisse

Angelika Wesenberg

Geboren 1950 in Drebkau
Seit 1974 am Kunstgewerbemuseum Schloss Köpenick (Ost-Berlin). Von 1988-2015 Kustodin an der Alten Nationalgalerie

Werner Knopp, der neue Präsident, hat dann auf totale Eingliederung gesetzt. Das war sicher die praktikabelste Lösung, führte aber dazu, dass plötzlich alle in einem Boot saßen. Die DDR war vorher eine ausgesprochen disparate Gesellschaft gewesen, doch nach dem Mauerfall wurden alle vorrangig als DDR-Bürger definiert, was eine sehr ulkige Erfahrung war. Als einige Kollegen gekündigt werden sollten, schrieben wir an Herrn Knopp und boten an, auf einen Teil unseres Gehalts zu verzichten, damit sie nicht entlassen werden. Andererseits dachte ich mir: Für diesen einen gern, aber warum sollte ich das für jemanden tun, der vorher Funktionär war?

Der Verzicht war schließlich nicht nötig, denn die Betroffenen strengten eine Klage an und alle Kündigungen wurden glücklicherweise zurückgenommen. Für mich persönlich ergaben sich nach der Wende neue Chancen. Vorher hatte ich keine klar umrissene Aufgabe, jetzt bekam ich einen eigenen Bereich: die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Für die Bestände war die Vereinigung das Beste, was passieren konnte. Der Menzel-Bestand kam wieder zusammen, oder auch die Französischen Impressionisten! Die Cézannes waren hier, die anderen Künstler waren nur dort vertreten.

Es waren vorher Schrumpfsammlungen mit wunderbaren Stücken, aber so ein geistiges Ganzes bildete sich erst jetzt wieder, weltbedeutend, in seiner ganzen Größe! Zum ersten Mal haben wir das bei der Blechen-Ausstellung von 1990 bemerkt, die Peter-Klaus Schuster schon vorher in der Neuen Nationalgalerie begonnen hatte. Nach der Maueröffnung konnten unsere Blechen-Bilder eingefügt werden. Das hat uns gezeigt: Zusammen haben wir großartige Bestände!

Die letzten 25 Jahre – das waren auch meine Jahre an der Nationalgalerie. Die Ausstellungen, die nun immer größer und bedeutender wurden. Der Leihverkehr und die vielen damit verbunden Reisen, weil die Werke natürlich immer begleitet werden. Mit der Ausstellung „Impressionismus-Expressionismus. Kunstwende“ schließt sich nun ein Bogen, ein Abschluss, bei dem ich denke: Oh Gott, so schön hättest du dir das nicht gedacht, als du ein paar Monate vor dem Mauerfall zur Nationalgalerie gegangen bist.

Alte Nationalgalerie

Die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin wurde zwischen 1867 und 1876 nach Plänen Friedrich August Stülers errichtet. Heute beherbergt sie Gemälde und Skulpturen des 19. Jahrhunderts, darunter Meisterwerke von Caspar David Friedrich, Adolph Menzel, Edouard Manet, Claude Monet, oder Auguste Rodin. Sie ist zugleich das Stammhaus der Nationalgalerie, deren Sammlung sich außerdem auf die Häuser Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, Museum Berggruen und die Sammlung Scharf-Gerstenberg verteilt.

Website der Alten Nationalgalerie