Ursula Kästner, Kustodin der Antikensammlung auf der Museumsinsel

Bulgarien liegt am Mittelmeer

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Kein Griechenland-Stempel im Reisepass: Ursula Kästner erzählt, wie sie zur DDR-Zeit die Antike erforschte.

Mit zehn habe ich beschlossen, Archäologin zu werden. Mich faszinierte an dem Beruf, dass man mit dem tiefen Blick in die Vergangenheit auch Mechanismen der heutigen Zeit entschlüsseln kann. 1977 kam ich zur Antikensammlung auf die Museumsinsel und fand es erleichternd, dass wir hier nie abgeschottet arbeiten mussten, sondern immer international vernetzt waren – dafür sorgte auch unsere Direktorin Elisabeth Rohde, eine Pendlerin zwischen den Welten.

Sie wohnte in der West-Berliner Bundesallee und hat im Ost-Berliner Pergamonmuseum gearbeitet. Wir durften auch immer ohne Restriktionen Besucher aus dem Westen empfangen. So zum Beispiel Wolf-Dieter Heilmeyer, den Chef der West-Berliner Antikensammlung, der aber in seiner Eigenschaft als Professor der Freien Universität zu uns kam und nicht als Museumsleiter. Ich habe mich sehr viel mit Vasenmalerei aus Unteritalien beschäftigt, also mit einem Gebiet, das von den Griechen kolonialisiert worden war.

Mich hat interessiert, wie es dort zu einem Zusammenspiel zwischen ansässiger und dazugekommener Gesellschaft, zu einer Akkulturation gekommen ist. Wenn man seit Jahren über den Mittelmeerraum arbeitet, aber immer nur die provinzialrömischen Sachen in Ungarn oder Bulgarien ansehen darf und nie einen Tempel in Sizilien oder auf der Akropolis, dann rechnete man sich natürlich aus, wie viele Jahre es noch bis zur Rente waren und man endlich frei reisen durfte. Erst kurz vom dem Ende der DDR wurde mir eine Kurierreise nach Italien bewilligt, obwohl ich weder in der Partei noch in der FDJ und dadurch auch kein Reisekader war. Es ging wohl darum, „Druck aus dem Kessel“ zu lassen.

Ursula Kästner, Kustodin der Antikensammlung auf der Museumsinsel
Ursula Kästner © SPK / Werner Amann
Büsten der Kleopatra VII. und des C. Iulius Caesar
Büsten der Kleopatra VII. und des C. Iulius Caesar
© bpk / Antikensammlung, SMB / J. Laurentius

Ursula Kästner

Geboren 1951 in Radebeul
Seit 1977 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Antikensammlung (Ost-Berlin) auf der Museumsinsel, seit 1989 Kustodin

Ich kannte den im Westen liegenden Teil der Sammlung nur von Fotos, war aber davon überzeugt, dass die Bestände irgendwann wiedervereinigt würden. Als ich 1982 zu einem Kongress in Bulgarien war, zeigte ich eine Vase aus der West-Berliner Sammlung und sagte dazu: „Zur Zeit in Westberlin“.

Ein westdeutscher Prähistoriker, der ebenfalls an dem Kongress teilnahm, stürzte in der Pause auf mich zu und fragte mich, wie ich so etwas sagen könne. Ich entgegnete, dass für mich die Sachen auf die Museuminsel gehören und der Tag kommen werde, an dem das passiert. Gut, ich habe damals nicht gedacht, dass ich das noch erleben werde, aber irgendwie war mir klar, dass die Sammlungen zusammengehören und ins Stammhaus zurückmüssen.

Am Tag nach dem Mauerfall gab es im Bode-Museum eine Versammlung über neue Reisemöglichkeiten für Wissenschaftler. Da hieß es: Wir wollen hier nicht rumsitzen, sondern schnell mal rüber, denn es kann sein, dass die Mauer in ein paar Tagen wieder geschlossen wird. Ich fuhr in die Antikensammlung nach Charlottenburg, die ich nur von Fotos kannte. Es war ein komisches Gefühl. Manches wirkte größer, manches viel kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Das war ein so emotionaler Moment, dass mir die Tränen kamen.

Im Dezember 1989 haben wir uns mit den West-Kollegen zum ersten Mal getroffen und auch gleich die ersten Austausche vereinbart – Stücke vom Telephos-Fries von West nach Ost, Fragmente von Exekias-Tafeln in umgekehrter Richtung.

Nach der Volkskammerwahl war klar, dass alles, was wir Wissenschaftler verändern wollten, Makulatur werden würde. Wir hatten uns auf die bestehenden Verhältnisse auf der anderen, der westlichen Seite einzustellen und schwankten zwischen Frust, Neugierde und Angst. Der West-Direktor Wolf-Dieter Heilmeyer und unser Ost-Chef Max Kunze, die sich vor der Wende glänzend verstanden hatten, wurden nun zu Konkurrenten.

In dieser aufwühlenden Zeit habe ich mir etwas angewöhnt, was ich heute noch tue. Wenn mir eine Dienstsache über den Kopf wächst, nehme ich mir den Schlüssel und gehe ins Vasenmagazin. Da schaue ich dann und denke: Das sind Objekte, die in Tausenden von Jahren durch viele Hände gegangen sind. Du bist Teil einer Kette, du musst etwas dafür tun, dass diese Sachen gut bewahrt werden und auch bei nachfolgenden Generationen noch Wirkung verbreiten. Das ist ein tolles Gefühl.

Antikensammlung

Die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gehört zu den bedeutendsten Sammlungen für antike griechische und römische Kunst in der Welt.
Baukunst, Skulpturen und Vasen, Inschriften, Mosaiken, Bronzen und Schmuck stellt die Antikensammlung auf der Museumsinsel Berlin aus: im Alten Museum und im Pergamonmuseum. Ihre Objekte ergänzen zudem die sammlungsübergreifende Präsentation im Neuen Museum. Dort zeigt sie vor allem Kunst aus den Provinzen des Römischen Reiches und Werke aus ihrer umfangreichen Zypernsammlung.