Ein aufgeschlitzter Feininger

26.09.2017PREP: Ein aufgeschlitzter Feininger – und die Suche nach dem Grund

MacKenzie Mallon ist die Spezialistin für Provenienzen am Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City und nimmt dieses Jahr am Deutsch-Amerikanischen Austauschprogramm zur Provenienzforschung (PREP) teil. Sie hat mit uns über ihre Forschung an einem Werk von Lionel Feininger gesprochen, für die sie auch Informationen aus dem Zentralarchiv nutzte.

Das Interview führte Birgit Jöbstl

MacKenzie Mallon
MacKenzie Mallon © privat

MacKenzie Mallon, Sie arbeiten als Spezialistin für Provenienzen am Nelson-Atkins Museum of Art. Könnten Sie kurz erklären, was für ein Museum das ist und was dort gesammelt wird?

Das Nelson-Atkins ist ein Universalmuseum. Wir sammeln Objekte von Kulturen aus der ganzen Welt, von der Antike bis heute. Neben unserer europäischen und unserer amerikanischen Sammlung sind wir besonders bekannt für unsere chinesische Kunst und die Fotografiesammlung.

Was ist Ihr Arbeitsgebiet im Museum?

Mein Spezialgebiet im Nelson-Atkins Museum ist die Erforschung von Provenienzen aus der NS-Zeit. Ich habe ein Langzeitprojekt, in dem ich alle europäischen Werke in unserer Sammlung erforsche, bei denen die Provenienz für die Zeit von 1933 bis 1945 noch nicht vollständig ist. Ich arbeite auch an besonderen Einzelprojekten, wenn Fragen auftauchen, etwa bei Erwerbungen oder wenn wir auf irgendetwas stoßen, über das wir mehr Informationen brauchen. Alle Abteilungen bei uns betreiben Provenienzforschung. Ich bin auch dafür da, ihnen bei Problemen zu helfen und sie bei ihrer Recherche zu unterstützen. 

Da es sich beim Nelson Atkins um ein Universalmuseum handelt: Hat das Museum mehrere Provenienzforscherinnen oder sind Sie derzeit die einzige?

Ich bin die einzige, die ausschließlich Provenienzforschung betreibt. Die Mitarbeiter jeder Abteilung erforschen, zusätzlich zu ihren anderen Projekten, die Herkunft der Objekte aus ihren jeweiligen Sammlungen. Ich bin aber die einzige, die sich voll und ganz der Provenienzforschung widmet und die einzige, deren Schwerpunkt auf der Nazi-Zeit liegt.

Wenn Sie von Ihrem Langzeitprojekt sprechen, dann bedeutet „Langzeit“ einige Jahre, nehme ich an? 

Ich arbeite seit sechs Jahren daran, und bis jetzt haben wir erst die Gemälde geschafft – es dauert also ziemlich lange. Wir haben über 40.000 Objekte…

Da haben Sie ja noch einiges an Arbeit vor sich. Können Sie mir etwas über die jüngsten Ergebnisse erzählen; gab es im letzten Jahr etwas Besonderes?

Im vergangenen Jahr habe ich alle unsere Bilder der klassischen Moderne erforscht, vor allem die Werke der deutschen Expressionisten. Dann erzählte mir Scott Heffley, unser Restaurator für Malerei, von Schnitten in der Leinwand des Gemäldes „Gaberndorf II“ von Lionel Feininger. Er vermutete, dass das Bild ein Opfer der Aktion „Entartete Kunst“ war. Das hätte sehr gut sein können, da Feininger bis 1937 in Deutschland lebte. Wir mussten also unter anderem herausfinden, wann das Bild in Deutschland war und wann es Deutschland verlassen hatte. Deswegen setzte ich dieses Bild ganz oben auf meine Liste.

Wie haben Sie mit der Recherche begonnen? 

Ich habe mit dem angefangen, was wir über die Geschichte des Bildes wussten – aus dem Werkverzeichnis und unseren Akten. Wir wussten, dass es von 1931 bis 1932 in der Nationalgalerie in Berlin ausgestellt war. Also habe ich das Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin kontaktiert und gefragt, ob es dort irgendeine Dokumentation gibt, die besagt, von wem das Bild für die Ausstellung geliehen wurde. Es ist 1924 entstanden. Wenn wir also herausfinden würden, wer der Leihgeber 1931 war, könnte uns das einen entscheidenden Hinweis darauf geben, wo das Bild während des Krieges war. Die Kolleginnen im Zentralarchiv waren sehr zuvorkommend und hilfsbereit. Sie schickten mir Scans von ihren Akten und es stellte sich heraus, dass das Bild eine Leihgabe von Feininger selbst gewesen war. Das war sehr interessant. Nun mussten wir herausfinden, wie lange er das Bild behalten hatte, und ob er es noch vor dem Zweiten Weltkrieg verkauft hatte.

Was war mit den Schnitten?

Als nächstes durchforstete ich Feiningers Briefe, die seine Frau veröffentlicht hatte. Schließlich fand ich welche von 1925, in denen Feininger tatsächlich beschreibt, wie er selbst dem Bild die Schnitte beibrachte! Das hat uns wirklich überrascht. Als er das Bild gerade vollendet hatte, war er unzufrieden mit der Komposition und beschloss, es zu zerstören. Ein paar Wochen später änderte er seine Meinung und entschied sich, das Bild zu reparieren. Und hat es dann sogar lange selbst behalten. Wir waren natürlich sehr erleichtert, dass das Bild kein Opfer der „Entarteten Kunst“ Kampagne war. Und diese Information hat uns bei der Recherche ein gutes Stück weiter gebracht. 

Wie ging es dann mit der Forschung weiter? 

Wir wussten aus den Briefen, dass Feininger derjenige war, der dem Werk die Schnitte zugefügt hat. Wir wussten, dass er es 1931/32 an die Nationalgalerie für eine Ausstellung verliehen hatte. Von da an ging es dann darum, wohin er das Bild noch verliehen hatte. „Gaberndorf II“ war zwischen 1932 und 1945 in einer ganzen Reihe von Ausstellungen zu sehen. Also musste ich bei den Museen in Deutschland und den Vereinigten Staaten nachfragen, um herauszufinden, ob er selbst der Leihgeber war oder jemand anderes. Es stellte sich heraus, dass in jedem Fall Feininger das Bild selbst verliehen hatte.

Wie wußten Sie, welchen Museen er das Bild geliehen hat? Außer der Nationalgalerie hatten Sie keine Informationen drüber. Oder gab es dazu auch etwas im Werkverzeichnis?

Viele Ausstellungen waren im Werkverzeichnis angeführt. Einige weitere Informationen fand ich in Ausstellungskatalogen, in denen ich nach Werken suchte, die gleichzeitig mit unserem ausgestellt waren. Ich bestellte so viele Ausstellungskataloge wie möglich. Dutzende und Aberdutzende Kataloge von Feininger-Ausstellungen. Es war, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Aber als es uns gelang, herauszufinden, dass er es 1937 an eine US-amerikanische Ausstellung verliehen hatte, war klar, dass das Bild seit 1937 in den Vereinigten Staaten war. Das war hilfreich.

Zollstempel von der Rückseite des Feiningerbilds
Zollstempel von der Rückseite des Feiningerbilds © The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri. Gift of a group of the Friends of Art

Wann hat das Nelson-Atkins das Bild erworben?

1946, ziemlich genau nach Kriegsende. Und wir wissen jetzt, dass Feininger das Bild zwischen seiner Rückkehr nach Amerika 1937 und unserem Ankauf 1946 für viele Ausstellungen verliehen hatte. Sie waren alle in den USA. Während des Kriegs behielt er das Bild also.

Haben Sie herausgefunden, wann er es verkaufte?

Er gab es 1946 einem Händler in New York in Kommission und wir kauften es dort im selben Jahr. Also hat er das Bild über 22 Jahre behalten, was interessant ist, wenn man bedenkt, dass er es zuerst nicht mochte und zerstörte. Und dann hat er es repariert und Jahrzehnte lang behalten! 

Konnten Sie mehr über seine persönlichen Gefühle für sein Bild aus seiner Korrespondenz herausbekommen, und ist es gelungen, alle Lücken in der Geschichte des Werkes zu klären?

Nur was er in seinen Briefen darüber schrieb. Dass er es nicht mochte, und dann, dass er es repariert hat. Ungefähr zwei Monate später schreibt er, dass er jetzt damit sehr zufrieden ist und es für eine seiner besten Arbeiten hält. Eine Sache, die ich gern herausgefunden hätte, ist das genau Datum, an dem Feininger sein Bild aus Deutschland in die USA brachte. Es gibt einen ziemlich verblassten lila Stempel auf der Rückseite des Bildes, der sehr nach einem Zollstempel aussieht. Also fragte ich Zollstempel-Experten aus allen möglichen europäischen Ländern, ob sie den diesen kennen. Schließlich hat mich jemand an den Generaldirektor des tschechischen Zollamts verwiesen, der  ihn als einen tschechischen Zollstempel identifizierte, der höchstwahrscheinlich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg verwendet wurde. Das würde mit Feiningers Ausreise aus Europa 1937 übereinstimmen. Ich vermute, dass er das Bild zur selben Zeit ausgeführt hat, als er Deutschland verließ. Aber die Details sind nicht leicht herauszubekommen.

Wie lange hat die Recherche insgesamt gedauert?

Vier Monate. 

Haben Sie all die Zeit nur nach diesem einen Bild geforscht? 

Nein, man muss immer wieder auf Antworten warten. Oft arbeite ich an zehn bis zwölf Werken gleichzeitig und das kann schon etwas verwirrend sein. Dokumentieren, aufschreiben, was ich gemacht habe und was noch zu tun ist, ist sehr wichtig. Sonst würde ich den Faden verlieren. 

Hatten Sie mit dem Berliner Zentralarchiv schon für eine andere Recherche Kontakt oder war dies das erste Mal? 

ja, vor ein paar Jahren habe ich sie mal wegen einem Bild von Signac kontaktiert. Die Kollegen konnten einen Aufkleber auf der Rückseite identifizieren, er stammte aus der Moderne Galerie Thannhauser – das war sehr hilfreich. Ich muss viele Leute vieles fragen, denn wenn man in den USA zu europäischen Kunstwerken arbeitet, ist vieles, was es zu recherchieren gilt, nicht in Reichweite. Mein Museum unterstützt mich sehr in puncto Reisekosten, aber ich kann nicht die ganze Zeit in Europa sein. Ich versuche, so viel Recherchearbeit wie möglich während einer Reise zu schaffen. Wenn ich etwas schnell brauche, oder nur eine Kleinigkeit, muss ich auf die Freundlichkeit der Leute bauen. Ich muss mich oft auf europäische Archivare, Museumsmitarbeiter und Forscher verlassen. Ohne ihre Hilfe  könnte ich meine Arbeit so nicht machen.

Alles Digitalisierte ist eine große Hilfe, nehme ich an.

Absolut. Ich denke, das ist für alle Forscher, ob in den USA oder Europa, hilfreich. Digitalisierung macht Dinge so viel leichter, weil man einfach am Schreibtisch bleiben kann. Die Datenbanken des Getty zum Beispiel sind riesig. Das Getty hat so viel auf seiner Website, aber noch viel mehr, was nicht digitalisiert ist. Es ist tatsächlich mein meistbesuchtes Rechercheziel. Dort gibt es so viele Quellen.

Eine unserer Einrichtungen hat auch ein Digitalisierungsprojekt zu den Auktionskatalogen der Jahre 1933 bis 1945. Ist Ihnen das schon mal begegnet?

Ja, ich benutze diese Kataloge die ganze Zeit! Das Projekt ist mit der Universität Heidelberg und auch dem Getty verbunden. Die Datenbank ist extrem hilfreich.

Ist es für Ihre Arbeit ebenfalls hilfreich, an PREP teilzunehmen?

Das PREP-Treffen im Februar war wirklich eine Offenbarung für mich. Es hat all meine Erwartungen übertroffen. Die Besuche in New Yorker Archiven waren sehr hilfreich und interessant. Aber das Beste war es, andere Provenienzforscher zu treffen, vor allem die deutschen, schließlich machen wir die gleiche Arbeit auf zwei Kontinenten. Vor PREP haben wir viel zu wenig miteinander gesprochen. Ich wusste gar nicht, wie anders Provenienzforschung in Deutschland betrieben wird. Es scheint, das die deutsche Forschung oft projektbasiert und staatlich organisiert ist, während wir in den USA von den einzelnen Museen angestellt werden oder selbständig arbeiten. Darum scheinen die Deutschen auch viel vernetzter untereinander zu sein. In den USA tauschen wir uns auch aus, aber nicht in diesem Maße. Es gibt also viel, was wir amerikanischen Forscher von ihnen lernen können. Hoffentlich können sie auch etwas von uns lernen! Ich schätze, das PREP-Treffen jetzt im September wird genauso gut wie das in New York. Ich kenne mich nicht so gut mit den deutschen Archiven aus, also freue ich mich, sie besser kennenzulernen, vor allem, wenn die deutschen Forscher uns begleiten und Tipps geben.

Was ist für Sie bei PREP am wichtigsten?

Mir ist wichtig nochmals zu betonen, wie dankbar ich für die Bereitschaft der europäischen Kollegen zur Zusammenarbeit bin. Und ich denke, das sind viele amerikanische Provenienzforscher. Es bedeutet uns sehr viel, die Gelegenheit zu bekommen, Seite an Seite mit ihnen zu arbeiten, sie bei PREP zu treffen, Ideen auszutauschen und unser Verständnis in diesem Feld zu erweitern, indem wir unsere gemeinsamen Erfahrungen teilen und gemeinsam an ähnlichen Problemen arbeiten. Ich hoffe, wir können diese Kooperation fortführen und in Zukunft noch mehr zusammenarbeiten. Ich glaube PREP kann ein wunderbarer Ausgangspunkt für diese Art der Zusammenarbeit sein.

Wie haben sind Sie eigentlich zur Provenienzforschung gekommen? 

Ich bin da so reingerutscht. Meinen ersten Abschluss habe ich in Geschichte gemacht, meinen Master in Kunstgeschichte. Ich habe Geschichtswissenschaft und die faszinierenden Erzählungen, die damit einhergehen, immer geliebt. Vor ungefähr sechs Jahren habe ich als Assistentin in der Abteilung für Europäische Kunst des Nelson-Atkins gearbeitet und eine Kuratorin fragte mich, ob ich sie bei einer Provenienzrecherche zur NS-Zeit unterstützen könne. Sie wusste, dass ich sowohl Geschichte als auch Kunstgeschichte studiert hatte und ein paar Fremdsprachen beherrschte, unter anderem deutsch, also fing ich an, ein bisschen Provenienzforschung als Nebenprojekt zu betreiben und es hat mir richtig Spaß gemacht. Also habe ich darauf geachtet, in diesem Feld so viel wie möglich zu lernen. Und als ich dann Anfang 2015 gefragt wurde, ob ich Provenienzforschung in Vollzeit betreiben wollte, habe ich die Chance genutzt. Seitdem bin ich Spezialistin für Provenienzforschung. Das Nelson-Atkins ist sehr engagiert, die Herkunft seiner Sammlungen zu erforschen und es ist toll, in einem Museum zu arbeiten, das so unterstützend ist. 

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