Wagt mehr Schinkel

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Mit dem geplanten Wiederaufbau der Bauakademie sollte Berlin seinen noch immer modernsten Architekten würdigen

Karl Friedrich Schinkel war kein Fan des Barocks. Und dennoch konnte sich der bedeutendste Architekt Preußens für zwei Berliner Bauwerke aus jener Epoche begeistern. In einem Gutachten für König Wilhelm III. schrieb er 1817: „Von eigentlich klassischen Gebäuden, die in ihrer ganzen Idee etwas wirklich Eigentümliches und vorzüglich Großartiges haben, besitzt Berlin nur zwei: das Königliche Schloss und das Zeughaus. Sie stehen als Monumente der Kunst da und werden immer wichtiger, je weniger die Zeit imstande sein wird, sich auf so große und vollkommene neue Werke einzulassen.“

 

Eduard Gaertner, „Die Bauakademie“, 1868 © Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Jörg P. Anders
Ruine der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel im Juli 1961 © bpk / Gisela Stappenbeck
Blick über die Fundamentreste der Bauakademie Richtung Hausvogteiplatz, 1964 © bpk / Gisela Stappenbeck
Schinkels Entwurf für das Bühnebild zu Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, 1861 © Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Jörg P. Anders
Schloss Orianda auf der Krim, antikischer Entwurf © Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Franz Ludwig Catel, „Schinkel in Neapel“, 1824 © Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Jörg P. Anders
Hauptfassade der Bauakademie, Gustav Stier, 1831 © bpk / Kupferstichkabinett, SMB

Als Schinkel ein Vierteljahrhundert später starb, hatte er diesen beiden von ihm so geschätzten kubischen Monumentalbauten zwei eigene Kuben an die Seite gestellt: das Alte Museum am Lustgarten und sein wegweisendes Spätwerk, die 1836 eröffnete Bauakademie gegenüber dem Berliner Schloss auf der anderen Seite des Kupfergrabens. Dieses spannungsvolle Ensemble von vier aufeinander bezogenen Meisterwerken ist seit der Rekonstruktion des Berliner Schlosses fast wieder komplett – es fehlt nur noch die Bauakademie. Obwohl sie vergleichsweise glimpflich durch den Krieg gekommen war, hatte sie 1962 dem Neubau des DDR-Außenministeriums weichen müssen, welches wiederum 1995 abgerissen wurde. 

Dass die Bauakademie immer noch nicht wiederaufgebaut ist, überrascht insofern, als eine Rekonstruktion von Schinkels „rotem Kasten“ von Anfang an weniger umstritten war als jene der ehemaligen Hohenzollernresidenz. Für die Rückkehr der Bauakademie ins Stadtbild sprachen sich auch weite Teile der Architektenschaft aus, weil der Würfel aus Ziegelstein und Terrakotta kein feudales Bauwerk war, sondern mit seinen vier gleichen Fassaden, dem Raster ohne Mittelachse und der seriellen Bauweise ein frühmodernes Gebäude, das großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Architektur hatte – bis zu den Hochhäusern der School of Chicago und dem Bauhaus. Noch dazu befand sich im obersten Geschoss der Bauakademie einst die Wohnung des Meisters selbst, in der er 1841 starb und die nach seinem Tod das erste Schinkel-Museum beherbergte. Zudem ist die Bauakademie das einzige der Meisterwerke Schinkels, das komplett verloren ging.

Über Jahre bemühten sich Vereine und Persönlichkeiten um den Wiederaufbau. Seit 2004 ist der Würfel im Stadtraum präsent – durch eine Attrappe aus bemalten Planen und eine beispielhaft rekonstruierte Musterecke. Dennoch kam kein praktikables Konzept für Nutzung und Finanzierung zustande – bis im November 2016 der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags 62 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereitstellte.

Erneut setzte eine Diskussion ein über Form und Inhalt einer neuen Bauakademie am alten Standort, moderiert vom Bundesbauministerium mit Barbara Hendricks (SPD) an der Spitze. Sie wünschte sich eine „Denk- und Kreativfabrik“ der Baukultur, „die Wissenschaft und Kunst, Forschung und Lehre, Theorie und Praxis unter einem Dach zusammenführt“ und in der auch über das Bauen in Zeiten von „Klimawandel“ und „Integration“ geredet werden solle – ein offenes Haus für alle Akteure der Branche.

Das rief Heerscharen von Institutionen auf den Plan, die neben dem Bundesbauministerium auf diesem weiten Feld mitmischen wollen: die Bundesstiftung Baukultur; die zahlreichen Organisationen von Architekten, Stadtplanern und Ingenieuren; die Verbände der Bauwirtschaft; die insgesamt 14 Institutionen in Berlin, die Archive zur Baukunst pflegen, darunter die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die über den Schinkel’schen Nachlass und eine bedeutende Architektursammlung verfügt, die Technische Universität mit ihren großen Beständen, das Bauhaus-Archiv oder die Berlinische Galerie.

Mit dem geplanten Wiederaufbau der Bauakademie sollte Berlin seinen noch immer modernsten Architekten würdigen.

Was davon in eine wiederaufgebaute Bauakademie einzieht und wie das im Raumprogramm umgesetzt werden könnte, dazu sollte ein offener Programmwettbewerb Ideen liefern, der bewusst die Frage nach der äußeren Form aussparte und zunächst einmal Klarheit über die künftige Nutzung bringen sollte. 78 Büros aus dem In- und Ausland nahmen teil, die Ergebnisse wurden Anfang Mai präsentiert. Zu einem eindeutigen Votum wollte sich die Jury indes nicht durchringen und kürte stattdessen fünf sehr unterschiedliche Projekte zu gleichberechtigten Siegern. Es waren detaillierte Geschosspläne mit konkreten Quadratmeterzahlen dabei, aber auch freifliegendere Ideen wie etwa der Vorschlag rotierender Intendanten oder Fassaden als „Wechselrahmen“, die je nach aktueller Ausstellung anders aussehen. Damit war man nicht sehr viel weitergekommen als die 20 Jahre alte Studie der Berliner Senatsbauverwaltung, in der schon einmal präzise Raumpläne für die Nutzungsvarianten „Deutsches Bauforum“, „Europäische Bauakademie“ oder „Berliner Architekturmuseum“ entwickelt worden waren.

Der Planungswettbewerb hat offenbar allen Beteiligten vor Augen geführt, wie wichtig für dieses Projekt ein Bauherr wäre, der den Architekten ein konkretes Nutzungs- und Raumprogramm vorgibt. Deshalb will das Bauministerium, inzwischen Teil des von Horst Seehofer (CSU) geführten Innenministeriums, im nächsten Schritt eine Stiftung Nationale Bauakademie gründen, die dann als Bauherrin die künftige Nutzung bringen sollte. Denkbar wäre eine grobe Einteilung nach Stockwerken: im Erdgeschoss – wie schon zu Schinkels Zeiten – Geschäfte, idealerweise auch eine Fachbuchhandlung, dazu gastronomische Angebote; den Mittelbau bezöge die Nationale Bauakademie als interdisziplinärer Thinktank zu Architektur und Stadtgesellschaft mit Räumen für Veranstaltungen, Ausstellungen, Seminare und Büros; und unter dem Dach – wie einst – ein Schinkel-Museum.

Angesichts der Bedeutung Schinkels und der Faszination, die er auf Architektur- und Kunstinteressierte in aller Welt ausübt, erscheint ein solches Programm als das Minimum, das man in Berlin zur Erinnerung an den Baumeister präsentieren müsste. Denn bisher gibt es keinen Ort, an dem sich Besucher in das umfangreiche Werk dieses vielseitigen Künstlers vertiefen können. Die neue Bauakademie müsste dieser Ort werden, hier sollte es Platz geben für Architekturmodelle seiner Bauten, für seine akkuraten Zeichnungen, für seine Tagebuchskizzen, seine romantischen Gemälde, sein Porzellan, seine Möbel und Leuchten, darunter Objekte, die zum Teil bis heute nachgefertigt werden.

Und natürlich müsste dort die Geschichte der Bauakademie selbst erzählt werden, u. a. durch die Präsentation von erhaltenen Fragmenten des Gebäudes. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verfügt über Hunderte von Formsteinen, die nach dem Abriss des DDR-Außenministeriums im Boden gefunden wurden – und weitere dürften noch unter der Attrappe verborgen liegen. Das Bildprogramm der Bauakademie ist bis auf wenige Ausnahmen durch Originalteile gesichert. Fast vollständig erhalten sind die 24 bemerkenswerten Terrakottareliefs des ersten Obergeschosses: In drei Feldern unter jedem Fenster hatte Schinkel Momente aus der Entwicklung der Architektur allegorisch dargestellt, etwa „Sterbender Genius der Baukunst mit Säulentrümmern“, außerdem Grundtätigkeiten und Grundbegriffe des Bauens, z. B. „Grundsteinlegung“ oder „Endigung eines Gewölbes“. Diese Motive waren an allen vier Fassaden identisch. Unvorstellbar, dass am Schinkel-Platz eines Tages ein austauschbarer moderner Kubus stehen könnte, in dessen hinterster Ecke sich irgendwo ein Raum mit Schinkel-Büste und Touchscreens befindet.

Anhänger einer durch und durch zeitgenössischen Lösung wenden ein: Es müsse ein Gebäude „im Geiste Schinkels“ entstehen, nicht in seinen Formen. Und sie zitieren den Meister selbst: „Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft.“ Allerdings wissen die wenigsten, wie Schinkel an dieser Stelle fortfährt: „Dieser neue Styl wird nicht aus allem Früheren heraustreten, dass er wie ein Phantasma ist, welches sich allen aufdringen würde, im Gegenteil, mancher wird kaum das Neue darinnen bemerken, dessen größeres Verdienst die consequente Anwendung einer Menge im Zeitlaufe gemachter Erfindungen werden wird, die früher nicht kunstgemäß vereinigt werden konnten.“ 

Schinkel war einer der ersten Architekten in Preußen, der den Wert alter Bauwerke für die Gegenwart erkannte. Deshalb seine Ehrfurcht vor Berliner Schloss und Zeughaus, deshalb seine Begeisterung für die gotische Marienburg. Er gehörte zu den treibenden Kräften, als man beschloss, den jahrhundertelang unvollendeten Kölner Dom getreu den ursprünglichen Plänen zu Ende zu bauen. Schinkel ergänzte verfallene Burgen im mittelalterlichen Stil und beschäftigte sich mit der Idee, römische Villen zu rekonstruieren. Wie er fast 200 Jahre nach der Eröffnung der Bauakademie über eine originalgetreue Rekonstruktion denken würde, muss offenbleiben. Nicht ausgeschlossen, dass es ihm gefiele

Mehr zur Bauakademie

In der Mitte Berlins soll bis 2023 die Schinkelsche Bauakademie wiederentstehen. Derzeit läuft ein Programmwettbewerb des Bundesbauministeriums, der Nutzungsideen hervorbringen und im Mai 2018 abgeschlossen sein soll. Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Staatlichen Museen zu Berlin kann es in der wiederrichteten Bauakademie nur eins geben: Schinkel feiern! 

Das Dossier zeigt wie dies aussehen könnte.