Fremdgegangen: Der Arm kommt wieder dran

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Zwei Männer, zwei Welten, vielleicht ein Thema: Der Chirurg Axel Ekkernkamp besucht den Archäologen Martin Maischberger im Alten Museum, um mit ihm über den Menschen und seine Verletzungen zu sprechen.

Axel Ekkernkamp kommt ohne Kittel ins Alte Museum. Was der Ärztliche Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin (ukb) mit dem Stellvertretenden Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Martin Maischberger, besprechen will, hat nichts mit der Gesundheit des Archäologen zu tun. Vielmehr treffen sich hier auf unseren Wunsch zwei Männer aus zwei Welten, die vielleicht eines gemeinsam haben: einen Blick auf den Menschen. 

 

Axel Ekkernkamp untersucht eine römische Marmorstatue © Max Zerrahn
Im Jahr 1913 kam diese hellenistische Bronzestatue eines „Buckligen“ in die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin © SMB/Antikensammlung, Foto: Ingrid Geske
Maischberger und Ekkernkamp vor dem hellenistischen Grabrelief eines Chirurgen © Max Zerrahn

Der eine erlebt jeden Tag die unterschiedlichsten Menschen aus fast 50 Nationen in ihrem größten Schmerz, körperlich versehrt und weiß, warum die Verbindung von Geist und Körper eben keine Floskel ist. Der andere beschäftigt sich mit dem realen und dem Ideal des Menschen in Stein. Martin Maischberger kennt das Unfallkrankenhaus als Patient, Axel Ekkernkamp war noch nie bei den Göttern.

Ist es möglich, ein Zwiegespräch zu führen, Kunst auf Medizin wirken zu lassen – und umgekehrt? Martin Maischberger hat dafür drei Objekte seiner Sammlung ausgewählt. Wenig später stehen wir vor einer römischen Marmorstatue nach griechischem Vorbild, die sie hier „Berliner Athlet“ nennen. Ihm fehlt der linke Unterarm.

Während Maischberger noch dabei ist, darüber zu sprechen, dass eigentlich beide Originalarme verloren sind und mehrmals rekonstruiert wurden, zuletzt von Christian Daniel Rauch, erzählt Axel Ekkernkamp, was der Verlust von Körperteilen in seinem Bereich bedeutet: „Der Verlust eines Armes hat überwiegend traumatische Ursachen. In vielen Ländern der Welt führen Machetenschläge dazu, dass Menschen aussehen wie diese Skulptur. Hierzulande sind es eher Maschinen- oder Motorradunfälle. Mit myoelektrischen Prothesen können heute Arme und Hände so gesteuert werden, dass man eine Tasse genauso elegant halten kann wie eine Eisenstange.“

Maischberger betrachtet seine Statue und sagt dann: „Was bei Ihnen der Fortschritt ist, sind in der Archäologie oder der Kunstrestaurierung die wellenförmigen Moden. Es war nicht immer Konsens, ob und wie man fehlende Köperteile ergänzt. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert wurde die Antike genau kopiert, danach erfolgte ein radikaler Bruch und die Statuen wurden entrestauriert. Frühere Ergänzungen wurden einfach entsorgt.“ 

Heute scheint es der konservatorische Mittelweg zu sein. Die hellenistische Bronzestatuette eines „Buckligen“ wiederum beschreibt ein medizinisches Phänomen, das heute nur noch in Lehrbüchern auftaucht: Die Tuberkulose hat zu einem Gibbus, einer Deformation der Wirbelsäule geführt. 

Schon 1913, als das Objekt in die Sammlung kam, wurde der Orthopäde Franz Schede zu Rate gezogen, der auf Spondylitis tippte. Ekkernkamp fällt auf, dass der gebrechliche Bettler eigentlich seine Hüfte und Kniegelenke exzellent bewegen kann: „Das ist phänomenal. Heute würden wir ihn mit Tuberkulostatika behandeln.“

Zum Schluss stehen wir noch vor einem hellenistischen Grabrelief eines Chirurgen, über das sich Axel Ekkernkamp besonders freut. Martin Maischberger erläutert, dass dieser Arzt sich nicht nur medizinisch betätigte, sondern nach Ausweis der dargestellten Schriftrollen auch gedichtet hat. Die Zangen und Skalpelle an der Wand zeigen, dass in dieser antiken Praxis einiges behandelt wurde. „Schauen Sie sich dieses Instrument an, das könnte ein Blasensteinentferner gewesen sein, wie er um Christi Geburt im Einsatz war“, sagt der Museumsmann. Und der ukb-Chef erinnert sich, wie er in den 90er-Jahren in einem asiatischen Land noch erlebt habe, wie Harnleiter durchtrennt wurden, um Steine zu entfernen: „Diese Behandlungsmethode unterschied sich kaum von der Antike. Heute haben wir unter anderem die Stoßwellentherapie und zertrümmern die Steine.“

Die Stunde im Museum ist um, Martin Maischberger zeigt Axel Ekkernkamp noch seine Kleopatra, vielleicht neben der Nofretete immer noch ein Vorbild für die ästhetische Chirurgie. Dann verschwinden beide in einer jungen, lärmenden Besuchergruppe.