„Es braucht Vertrauen!“

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Thorsten Strauß, Vorsitzender des Kuratoriums Preußischer Kulturbesitz, über Provenienzforschung und das Projekt „Tansania–Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“

Im Jahr 2016 startete am Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin das Pilotprojekt „Tansania-Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“, das ein Rahmenkonzept für die Erforschung der Provenienz sensibler, insbesondere in der Kolonialzeit angeeigneter Bestände aus dem heutigen festländischen Tansania entwickelt. Dank des parallel in Dar es Salaam laufenden und inzwischen abgeschlossenen Projekts „Humboldt Lab Tanzania“ konnten mit tansanischen Wissenschaftlern, Experten und Künstlern kooperative Formate künstlerischer Forschung sowie Repräsentationsformen von historisch sensiblen Objekten erprobt werden, die in kolonialen Kriegen erbeutet wurden. Die Projekte wurden auf besondere Weise vom Kuratorium Preußischer Kulturbesitz gefördert. Durch die im Rahmen der Projekte unterzeichneten memoranda of understanding mit dem National Museum of Tanzania und der University of Dar es Salaam sind nun die Grundlagen für langfristige und nachhaltige Kooperationen geschaffen.

Beutel mit 96 medizinischen Objekten aus dem Besitz eines Heilkundigen aus Mohoro

Beutel mit 96 medizinischen Objekten aus dem Besitz eines Heilkundigen aus Mohoro © SMB, Ethnologisches Museum, Martin Franken

Herr Strauß, warum hat sich das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz für das Projekt „Tansania–Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“ engagiert?

Thorsten Strauß: Als Kuratorium war uns sofort klar, dass es wichtig sein würde, ein solches Thema anzugehen und zu unterstützen. Für die Pilotphase hat das Kuratorium 220 000 Euro bereitgestellt; im weiteren Verlauf wurde das Budget noch einmal um 100 000 Euro aufgestockt. Provenienzforschung ist zeitintensiv, benötigt Spezialwissen und den intensiven Austausch mit den tansanischen Kollegen.

Wie lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des Tansania-Projektes zusammenfassen?

Auf Grundlage der bisherigen Forschung lässt sich sagen, dass die Wege, auf denen Objekte in die Berliner Tansania-Sammlung gekommen sind, so vielfältig und komplex waren wie die koloniale Geschichte selbst: Dinge wurden geschenkt, getauscht, gekauft, aber auch erpresst, gestohlen oder geraubt. Aufgrund der Quellenlage ist es bei manchen Objekten leider nicht mehr möglich, eine konkrete Aneignungsart zu rekonstruieren. In solchen Fällen aber muss es darum gehen, wenigstens die Kontexte der Aneignung vor Ort so gut wie möglich zu rekonstruieren und sichtbar zu machen. So werden die afrikanischen Vorbesitzer durch Ergänzungen der Einträge in der Museumsdatenbank sichtbar gemacht.

Gibt es generell Kriterien, nach denen das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz besonders förderungswürdige Projekte ausmacht?

Die Unternehmen, die im Kuratorium vertreten sind, haben verschiedene Förderschwerpunkte definiert, die ihnen besonders wichtig sind. Dazu zählen insbesondere die Themen Bildung und Vermittlung, die Bereiche der digitalen Transformation und Kommunikation, große Ausstellungen und Projekte im Zusammenhang mit dem Humboldt Forum – wie eben auch das Projekt zur Provenienzforschung Tansania. Das Kuratorium möchte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz dabei unterstützen, Themen von gesellschaftlicher Relevanz voranzubringen. Uns ist es wichtig, mit unserer Förderung kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Darin sehen wir auch als Unternehmen eine besondere Verantwortung. So freuen wir uns sehr darüber, dass durch unsere Unterstützung zum dritten Mal das Sommerprogramm „Connections“ auf der Museumsinsel stattfinden kann und dass wir im Haus Bastian, dem künftigen Zentrum für Bildung und Vermittlung, ein Projekt für Schülerinnen und Schüler voranbringen können.

Wie wichtig werden für die Zukunft kooperative Forschungsprojekte sein, die mit den Vertretern von Herkunftskulturen zusammen durchgeführt werden?

Eine gleichberechtigte internationale Zusammenarbeit ist für ein tieferes Verständnis der Sammlungen unerlässlich und muss weiter ausgebaut werden. Durch den kollaborativen Ansatz kann das Wissen der Museumskuratoren mit dem Wissen der Partner zusammengeführt und beiden Seiten zur Verfügung gestellt werden. Provenienzforschung braucht einen langen Atem und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Akteure; hier nur auf schnelle Ergebnisse zu setzen wäre nicht nachhaltig. Ich sehe aber auch die Politik in der Pflicht, die Museen in diesem Bereich viel besser zu unterstützen.

Humboldt Lab Tanzania
Humboldt Lab Tanzania © Reimer Verlag
Thorsten Strauß
Thorsten Strauß © Michael Kuchinke-Hofer

Das Buch

In den Depots des Ethnologischen Museums befinden sich bis heute zahlreiche Objekte, die während der deutschen kolonialen Herrschaft zwischen 1885 und 1918 in Tansania erbeutet wurden. In dem Projekt „Humboldt Lab Tanzania“ setzten sich tansanische und deutsche Wissenschaftler, Kuratoren und Künstler kritisch mit einer Auswahl von Objekten auseinander. Das gleichnamige Buch (Reimer Verlag, 59 Euro) fasst die Projektergebnisse auf 398 Seiten zusammen.

Thorsten Strauß

Thorsten Strauß ist Global Head of Art, Culture und Sports der Deutschen Bank AG und seit 2014 Vorsitzender des Kuratoriums Preußischer Kulturbesitz.


Weitere Artikel zum Thema