Museumsleiter Álvaro Jorge zeigt Ziva Domingos, Hermann Parzinger und Norbert Spitz das moderne Depot seines Hauses

Im Land der Chokwe

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Anfang Dezember 2018 besuchte eine Delegation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zusammen mit Vertretern des Goethe-Instituts und dem deutschen Botschafter die Chokwe in Angola. Eine Reise, auf der neue Wege in eine gemeinsame Zukunft beschritten wurden.

Um 7:15 Uhr landet Flug DT230 der Linhas Aéreas de Angola auf dem kleinen Flughafen von Saurimo im Nordosten des Landes. Trotz der frühen Stunde am Sonntagmorgen haben sich das halbe Kabinett und weitere Würdenträger der Provinz Lunda Sul am Rande des Rollfelds eingefunden. Sie begrüßen Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Paola Ivanov, Afrika-Kuratorin am Ethnologischen Museum, Norbert Spitz, Leiter der Region Subsahara-Afrika des Goethe-Instituts und den deutschen Botschafter in Angola Dirk Lölke, die im Zeichen des Dialogs mit den Herkunftsgesellschaften zu Gesprächen und Begegnungen in die beiden Lunda-Provinzen gereist sind.

Museumsleiter Álvaro Jorge zeigt Ziva Domingos, Hermann Parzinger und Norbert Spitz das moderne Depot seines Hauses

Museumsleiter Álvaro Jorge zeigt Ziva Domingos, Hermann Parzinger und Norbert Spitz das moderne Depot seines Hauses © SPK / Stefan Müchler

Muatxissengue Watembo, König der Chokwe, weilt auf einem breiten Sessel. Tief über die Lehne gebeugt neben ihm sitzt ein Berater und dolmetscht aus der Chokwe-Sprache ins Portugiesische. Paola Ivanov hat Muatxissengue Watembo einen Katalog der derzeit im Bode-Museum laufenden Ausstellung Unvergleichlich! mitgebracht und zeigt ihm einige der alten Meisterwerke von Künstlern seines Volkes. Mit großem Interesse mustert der König die Abbildungen: „Uns war nicht bekannt, dass derartige Chokwe-Stücke in Berlin sind“, sagt Watembo schließlich, der den Wunsch nach Zusammenarbeit ausdrücklich begrüßt, und fügt hinzu. „Aber auch wir haben eine wertvolle Sammlung, die für die Berliner Ethnologen sicherlich sehr interessant ist.“

Auch im Museo de Dundo in Lunda Norte, das die Delegation nach einer mehrstündigen Autofahrt durch die weiten Savannengebiete des Landes erreicht, stößt der Wunsch nach Anknüpfung an alte Beziehungen auf positive Resonanz. Bereits in der Zeit der Gründung des damaligen Berliner Museums für Völkerkunde erwarben Expeditionen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung Äquatorialafrikas herausragende Kunstwerke der Chokwe und anderer Ethnien. Der nicht nur aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft umstrittene Ethnologe und Afrikanist Hermann Baumann vom Berliner Völkerkundemuseum stellte in den 1930er-Jahren die weltweit erste systematische Sammlung der materiellen Kunst und Kultur Nordost-Angolas zusammen. Etwa zeitgleich wurde das Dundoer Museum gegründet, für das Baumann später eine zweite Sammlung zusammentrug, von der sich heute ein großer Teil im Museu Nacional de Antropologia in Luanda befindet.

Museumsleiter Álvaro Jorge zeigt Ziva Domingos, Hermann Parzinger und Norbert Spitz das moderne Depot seines Hauses
Afrikakuratorin Paola Ivanov zeigt König Matisengue Watembo herausragende Chokwe-Objekte der Sammlung, die derzeit im Bode- Museum ausgestellt sind © SPK / Stefan Müchler
Anknüpfen an alte Verbindungen: Besuch im Dundo Museum zur Vereinbarung neuer Wege der Kooperation
Anknüpfen an alte Verbindungen: Besuch im Dundo Museum zur Vereinbarung neuer Wege der Kooperation © SPK / Stefan Müchler
Anknüpfen an alte Verbindungen: Besuch im Dundo Museum zur Vereinbarung neuer Wege der Kooperation
Hermann Parzinger und Botschafter Dirk Lölke im Gespräch mit dem Gouverneur von Lunda Sul © SPK / Stefan Müchler

In der Hauptstadt wird beim Rundgang durch die Dauerausstellung des angolanischen Nationalmuseums die Verwandtschaft zwischen den beiden Sammlungen in Berlin und Luanda deutlich. Sowohl hier als auch derzeit im Bode-Museum wird jeweils ein prächtig geschnitzter Ngundja-Stuhl mit fellbezogener Sitzfläche, der zu den wichtigsten Prestigeobjekten der Chokwe-Herrscher zählte und fein ausgearbeitete Alltagsszenen zeigt, ausgestellt. Auch die beeindruckenden Initiationsmasken der Chokwe erkennt Paola Ivanov sofort wieder. Während eine Reihe von Sälen im Haupthaus des Museums wegen eines undichten Daches geschlossen werden mussten, ist das Depotgebäude neu. Stolz zeigt Museumsleiter Álvaro Jorge den Gästen eine der modernen Rollregalanlagen. Im Gegensatz zu den vollen Depots ist die geräumige Restaurierungswerkstatt bis auf die nötigen Arbeitsflächen leer. Für Hermann Parzinger ein idealer Ansatz zur praktischen Zusammenarbeit: „Wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten die angolanischen Museen bei ihren vielen Aufgaben unterstützen. Auf Basis der gemeinsamen Geschichte suchen wir neue Wege für die Zukunft mit gemeinsamer Forschung, Weiterbildung und Capacity Building, vor allem auch im Bereich der Restaurierung.“

Formalisiert wird die langfristig angelegte Zusammenarbeit der Museen durch ein Memorandum of Understanding, das durch Ziva Domingos, Direktor der Nationalen Museen Angolas, Hermann Parzinger und Norbert Spitz unterzeichnet wird. Televisão Pública de Angola und TV Zimbo übertragen live. Für das erste Jahr der Zusammenarbeit einigen sich die Partner auf den Austausch von Informationen über die Sammlungsbestände der Museen, einen Workshop zur Konservierung und Restaurierung sowie auf die Übersetzung historischer ethnografischer Dokumente ins Portugiesische. Im Museumsbereich hat eine neue Zeit der deutsch-angolanischen Zusammenarbeit begonnen.

Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitung des Humboldt Forums, Ausgabe 4, März 2019.


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