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Reiskuchen und Tagesschau

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Die Hmong sind eine Minderheit aus Südostasien. Vor dreißig Jahren flohen einige von ihnen aus dem Goldenen Dreieck auf die Schwäbische Alb. Im Humboldt Forum wird bald ihre Geschichte erzählt

Wer zu den Hmong reisen möchte, muss tief ins Ländle vordringen. Aus Richtung Reutlingen kommend, geht der Weg zunächst durch enge Haarnadelkurven. Schloss Lichtenstein taucht auf, dann das Flussbett  von Seckach und Lauchert. Schließlich noch ein paar Höhenmeter steil hinauf nach Neufra. Ein paar Dutzend Stufen führen schließlich von der Dorfstraße zum Haus der Familie Vang, das sich eng an den Berg schmiegt. Hier also wohnen sie, die Hmong. Eine Minderheit sind sie, die einst ihre Heimat, das unwegsame Bergland von Laos, verlassen mussten: Viele Hmong hatten im Zweiten Indochinakrieg in einer von der CIA unterstützten Guerillaarmee gekämpft. Die Vangs flohen, um den Umerziehungslagern der an die Macht geputschten Kommunisten zu entkommen. Sie träumten von einem neuen Zuhause.

Eine politische Entscheidung, getroffen im rund 17.000 Kilometer entfernten Buenos Aires, sollte im November 1979 über ihr weiteres Schicksal bestimmen. Als Cha Soua und Cha My Vang, ihr Sohn Yao Vang und eine mitreisende Nichte nach langer Odyssee im nord-thailändischen Flüchtlingslager ankamen, hieß es zunächst, sie würden nach Argentinien ausgeflogen. Doch die  dortige Regierung verhängte einen Einreisestopp. Fünf Familien blieben in Bangkok zurück, die Bundesrepublik nahm sie schließlich auf.

„Eigentlich hatten wir hier großes Glück, Deutschland ist doch wirtschaftlich viel stärker und bietet bessere Arbeitsmöglichkeiten“, so Yao Vang in breitem Schwäbisch. Die erste Zeit sei für ihn und besonders für seine Eltern jedoch sehr schwierig gewesen. Als einfache Reisbauern hatten Cha Soua und Cha My Vang nie eine Schule besucht, kamen als Analphabeten nach Deutschland.

Eine Verständigung mit den Helfern des Deutschen Roten Kreuzes war zunächst unmöglich. Im DRK-Mitgliedermagazin wurde deshalb der Aufruf „Hmong sucht Hmong“ gestartet – allerdings ohne Erfolg. Die fünf Hmong-Familien in Gammertingen waren allein in der großen Bundesrepublik. Ein laotischer Priester konnte immerhin Kontakt zu weiteren Hmong-Familien in Frankreich herstellen. „In der heutigen Zeit ist das alles viel leichter. Gerade amerikanische Hmong sind sehr an  Familienforschung interessiert“, so Yaos Sohn Tchoua Vang. Öfter sei es schon vorgekommen, dass Hmong aus Übersee auf der Suche nach „Landsleuten“ durch Gammertingen und Neufra gefahren seien. „Meistens  fragen sie oben bei der Tankstelle in Gammertingen. Die schicken die Leute dann zu mir, weil ich am besten Deutsch spreche“, berichtet Yao Vang mit einem verschmitzten Grinsen.

Als eine von heute zehn Hmong- Familien leben die Vangs in der dritten Generation in Baden-Württemberg. Im gemütlichen, sehr deutschen Wohnzimmer zeigt Yao Vang alte Familienfotos aus dem Flüchtlingslager und den ersten Jahren auf der Schwäbischen Alb. Aus Sorge vor Repressionen der immer noch herrschenden Kommunisten ist bislang noch kein Familienmitglied nach Laos zurückgekehrt. Besonders Cha Soua und Cha My Vang leiden darunter und vermissen ihre verlorene Heimat bis zum heutigen Tage.

Die Vangs hatten keine Geburtsurkunden – ein Albtraum für deutsche Behörden

„In Laos waren wir selbständige Bauern und haben von unserem eigenen Land gelebt“, beschreibt Großvater Cha Soua Vang sein früheres Leben. „Wir kannten ja gar keine Industrie, und in Deutschland war für uns alles anders“, übersetzt Yao Vang für seinen Vater aus dem Hmong. Bis heute können seine Eltern Cha Soua und Cha My Vang nur bruchstückhaft Deutsch, müssen von ihren Kindern und Enkeln zu Behördengängen und Arztbesuchen begleitet werden.

Obwohl sie ihr halbes Leben auf der Schwäbischen Alb verbracht haben, scheinen sie nie richtig angekommen zu sein. Die Familie ist ihre große Stütze und Verbindung zur Außenwelt. Zwischen Siebzig und Achtzig müssten seine Eltern heute sein, schätzt Yao Vang, genau könne dies keiner sagen. Geburtsurkunden waren in ihrer damaligen Heimat unbekannt. „Mein Vater soll am 1. August geboren sein, meine Mutter am 1. Juli – das kann doch nicht sein“, sagt Yao Vang lachend. „Als damals in Deutschland für uns die ersten Ausweise ausgestellt worden sind, hat man einfach einen Tag festgelegt.“

Eine Geburtsurkunde besitzt auch Yao Vang nicht und erinnert sich noch gut an die erstaunten Gesichter im Standesamt. „Die Behörde konnte nicht glauben, dass es solche Papiere nicht gibt. Sie haben sogar nach Laos geschrieben, aber keine Antwort bekommen.“

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Yao Vang mit seinen Eltern Cha Soua und Cha My Vang und einer Nichte kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland, 1981 © Familie Vang
Familie Vang heute
Eine Generation später: Yao Vang (3. von r.) mit Söhnen, Töchtern, Frau und Eltern © Familie Vang
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Hmong-Community im Schwäbischen Exil – Cha My Vang (ganz rechts) Anfang der 1980er-Jahre mit befreundeten Familien © Familie Vang
Cha Soua Vang im Ausländerwohnheim in Gammertingen, circa 1979
Cha Soua Vang im Ausländerwohnheim in Gammertingen, circa 1979 © Familie Vang

Bis zum zweijährigen Aufenthalt im thailändischen Flüchtlingslager hatte er nie eine Schule besucht. In Gammertingen ging er zunächst in eine Ausländerklasse, dann auf die Hauptschule und wechselte schließlich auf die Landwirtschaftsschule in Sigmaringen.

Inzwischen gehört er seit fast 30 Jahren zu einer Metall verarbeitenden Firma in Albstadt, bei der er auch gelernt hat. Stolz hat er sich die Urkunde der Industrie- und Handelskammer ins Wohnzimmer gehängt, damit sie auch seinen jüngsten Sohn Blong beeindruckt, der in die Fußstapfen des Vaters tritt.

So modern die Familie im Alltag ist, so traditionell werden die Feste gefeiert, von denen das wichtigste das neue Jahr einläutet. Hier werden Familien und Freunde eingeladen und die neuen Trachten getragen, die nach altem Muster, aber versehen mit neuen Elementen, selbst hergestellt werden. Am wichtigsten aber ist, junge Hmong-Damen mit jungen Hmong-Herren zu verkuppeln. Wenn es nicht funkt, helfen Verwandte nach – damals wie heute. Feste werden zu Heiratsmärkten. Auch in der Diaspora sollen die jungen Hmong-Herzen vor allem anderen Hmong zufliegen. Wenn sie doch woanders landen, funktioniert das meist nicht so gut. Die Ehen mit Europäern hielten vielfach nicht so lange, meint Yao Vang, der kulturelle Unterschied sei zu groß. Vielleicht liege es auch am Essen, wirft seine Frau Lao ein.

„Bei uns gehört Reis einfach jeden Tag zur Mahlzeit dazu, viele Hmong kochen sehr traditionell.“ „Unsere amerikanischen Verwandten sind hier aber viel schlimmer“, erwidert Yao Vang lachend. „Die essen dreimal am Tag Reis, auch zum Frühstück. Bei uns gibt’s natürlich Brot und Brötchen.“ In diesem Augenblick serviert Lao Vang Kaffee und gedeckten Apfelkuchen. Gibt es denn auch eine Süßspeise, die von den Hmong traditionellerweise gegessen wird? „Reiskuchen“, ruft Yao Vang, „den essen wir bei besonderen Festen.“ Und was wird dazu getrunken? Reiswein. Was sonst? Die Vangs – eine Familie, die nicht zwischen den Welten, sondern mit beiden Beinen fest in beiden steht.

Wie sie wurden, was sie sind, das soll bald auch im Humboldt Forum erzählt werden. Einen Film mit dem Titel „Hmong sein“ hat Bettina Renner über die Familie Vang gedreht. Man wird erfahren, wie die Kinder ihren Weg gemacht haben: Yao Vangs ältester Sohn Tchoua arbeitet als Elektriker, Tcheng ist Schweißer und zwei der Töchter sind Arzthelferinnen. Anja, der jüngste Spross und die erste mit europäischem Namen, kommt nächstes Jahr in die Schule. Für Yao Vang und seine Frau ist die Schwäbische Alb Heimat geworden, für die hier geborenen Kinder ohnehin. Sie genießen das dörfliche Leben, wo jeder jeden kennt.

Am Wochenende gehen die Vangs gern spazieren. Punkt acht trifft man sich zur Tagesschau. Alle sitzen dann zusammen im Wohnzimmer. In welcher deutschen Familie gibt es das noch? Tchoua Vang schaut auf die Uhr, ihn zieht es auf den Fußballplatz. Schließlich hat der FV Neufra heute ein wichtiges Heimspiel.

Humboldt Forum

Wie kann man die universalen Themen und globalen Entwicklungen der Menschheit im Museum präsentieren? Nichts weniger will das Humboldt Forum, das derzeit in Berlins historischer Mitte entsteht. Rückgrat des Mammutprojekts: die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin.

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