Dem Meister auf die Finger geschaut

11.01.2017Dem Meister auf die Finger geschaut

Mit seiner unkonventionellen Musik stieß Ferruccio Busoni Türen auf – und verlangte den Interpreten dabei einiges ab. Doch sein Publikum verehrte ihn eher als Virtuosen am Klavier – ein Korsett, gegen das er sich zeitlebens wehrte. Wie man den Meister mit den zwei Gesichtern heute wieder aufleben lässt, weiß der Berliner Pianist Holger Groschopp.

Von Silvia Faulstich

Herr Groschopp, was machte Busoni den Virtuosen aus?

Von Busoni als Pianist sind nur wenige Tondokumente erhalten, die noch erahnen lassen, wie er selber gespielt hat. Glaubt man Zeitzeugenberichten, waren seine Auftritte von sehr großer Perfektion, aber nicht für Jedermann. Einerseits spielte Busoni sehr subjektiv, pflegte aber andererseits auch eine gewisse Distanz. Ihm wurde manchmal vorgeworfen, dass er wie hinter einem Vorhang spielen würde. Er biederte sich nicht an das Publikum an.

Hände Ferruccio Busonis, in: Rudolf M. Breithaupt, Die natürliche Klaviertechnik, C. F. Kahnt Nachf., Leipzig 1905, S. 331.
Röntgenaufnahme der Hände Ferruccio Busonis

Berühmt war Busoni auch für seine Klavier-Bearbeitungen von Werken Johann Sebastian Bachs. Zu einer seiner Bach-Bearbeitungen notierte er „Der Vortrag eines polyphonen sechsstimmigen Satzes bildet so ziemlich die äußerste Leistungsgrenze dieser Art am Pianoforte “. Busoni wusste also, was er dem Pianisten zumutet. Wie geht man damit um?

Man fragt sich natürlich: Soll man so spielen, wie Busoni vermutlich selbst Bach gespielt hätte? Das kann man nicht gleich mit „Ja“ beantworten, denn oft ist er selbst von dem abgewichen, was er eigentlich notiert hatte. Diese Freiheit hatte Busoni einfach. Das heißt aber nicht, dass wir es heute auch so machen müssen. Im Zweifel gilt das geschriebene Wort – wie es bei den Juristen heißt.

Wie gehen Sie an Busonis eigene Kompositionen heran?

Ich glaube, wenn man sie verstehen möchte, muss man sich mit der Persönlichkeit Busoni beschäftigen. Busoni war ein künstlerisch extrem vernetzter Mensch und hatte Kontakt zu vielen Geistesgrößen seiner Zeit – nicht nur zu Musikern. Er hat unterrichtet und theoretische und ästhetische Schriften verfasst. Wenn man das ausblendet und sich nur auf seine Stücke konzentriert, insbesondere die ab 1907, dann ist man manchmal ein bisschen ratlos.

Warum ratlos?

Ab dieser Zeit werden seine Kompositionen sehr eigenwillig, denn dann verstößt er gegen akademische Regeln der Musik. Busoni wollte, dass die Musik sich befreit von allen Fesseln. Gleichzeitig ist er aber auch nicht so bilderstürmerisch oder aggressiv-expressionistisch wie andere Größen des frühen 20. Jahrhunderts wie Prokofjew oder Bartok. Sie wollten in der Bewegung Energie freisetzen. Wenn ihre Kompositionen wahnsinnig schrill und dissonant wirken, versteht man warum.

Porträt Holger Groschopp
© Holger Groschopp

Holger Groschopp

Der Pianist Holger Groschopp studierte an der Hochschule der Künste Berlin bei Georg Sava sowie Komposition bei Isang Yun und Liedinterpretation bei Aribert Reimann und Dietrich Fischer-Dieskau. Tourneen führten ihn durch Europa, West- und Ostasien sowie nach Nord- und Mittelamerika. Er wirkte an vielen Ur- und Erstaufführungen mit und ist regelmäßig Gast in Aufnahmestudios. Dem DSO Berlin ist er eng verbunden. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Musik des 20. Jahrhunderts. Anlässlich der Ausstellung „Busoni. Freiheit für die Tonkunst!“ führte er das Werk Busonis in zahlreichen Sonderkonzerten auf.

Das heißt, Busonis musikalisches Denken muss man langsam erschließen?

Ja, denn er wirkt im Vergleich zu manchem Zeitgenossen unspektakulärer. Konventionell war er aber auch nicht. Deshalb stießen seine Originalwerke beim Publikum auf weniger Interesse. Pianisten, die sich nicht mit seinem Leben beschäftigen, machen vielleicht intuitiv vieles richtig. Ich glaube aber, um seine Musik lieben zu lernen, muss man das Gesamtpaket betrachten und das kann dann sehr faszinierend sein.

Wie sind Sie selbst an das „Gesamtpaket“ herangegangen?

Zentral sind natürlich Busonis Schriften. Es gibt eine ganze Reihe von offenen Briefen, Aufsätzen, Kritiken, etc. Am wichtigsten ist aber sein Büchlein „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ (1906/1917). Er reißt darin lediglich Ideen zu einer neuen Musik an, versucht dabei aber Fenster zu öffnen und Visionen zu entwickeln. Busoni beschreibt etwa Dritteltöne und Sechsteltöne und stellt sich elektronische Musikinstrumente vor. Daneben sind aber auch seine persönlichen Korrespondenzen – Busoni war unermüdlicher Briefeschreiber – unschätzbar wichtig. Erst kürzlich veröffentlicht wurde beispielsweise sein Briefwechsel mit seinem Verleger oder auch mit seiner Frau, die sein erstes Publikum für neue Ideen war.

Auszug aus: Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst (1907), S. 30.
Auszug aus: Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst (1907), S. 30.
Ferruccio Busoni: Versuche über Dritteltöne und neue Skalen (Detail), 1896
Ferruccio Busoni: Versuche über Dritteltöne und neue Skalen (Detail), 1896 | Signatur: Mus.Nachl. F. Busoni C I,82, Bl. 3r. © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv

Also Vorlesung statt Liebesbrief?

Nicht ganz. Ihr gegenüber reflektierte er einfach ganz intensiv, was ihm gerade alles durch den Kopf ging. Das ist ziemlich wichtig. Daneben gibt es auch viele Kommentare von seinen Schülern.

Gibt es große Vorbilder, über die er besser zu verstehen ist?

Unbedingt. Busoni hat sich wie gesagt intensiv mit Bach beschäftigt und auch Liszt stark rezipiert. Letzteres ist schon erstaunlich. Das Klischee besagt ja, dass Liszt ein äußerlicher Publikumsverführer war mit viel Klingeling und Theaterdonner in seinem Spiel. Das passte eigentlich nicht zu Busonis Charakter. Trotzdem hat er sich Liszt sehr wesensverwandt gefühlt. Das lag zum Teil an der unglaublichen Offenheit, die Liszts Werk hat, denn dieser hat versucht, einfach alles mit dem Klavier auszudrücken – Visionen von Landschaft, Dichtung, von allem Möglichen. Dieses Grenzenlose in Liszts Kompositionen, in denen er viele zukunftsweisende Elemente verarbeitet hat, das sagte Busoni zu.

Bildnis Ferruccio Busoni 48-jährig, Berlin 1914
Bildnis Ferruccio Busoni 48-jährig, Berlin 1914 | N.Mus. P 108,6 © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv

Am wenigsten ist Busoni verwurzelt in der Romantik à la Schumann, Brahms, Chopin, Mendelssohn. Deren Art des musikalischen Gefühlsüberschwangs war nicht gerade seine Sache. Ich muss aber gleich wieder revidieren, denn zumindest das Frühwerk und auch bis 1900 – da ist schon sehr viel Brahms drin und auch Schumann. Er hat gerade in seinen Jugendjahren sehr viel rezipiert.

Wo liegen denn die Fallstricke in Busonis Werken?

Ungewöhnlich sind zum Beispiel seine Harmoniefolgen: Oft benutzt er Klänge, die nicht mehr der vergangenen Harmonik entsprechen, aber auch nicht so dissonant sind, dass daraus wieder eine neue Klangqualität erstehen würde. Es ist eine milde Dissonanz die gleitet oder schwebt zwischen den Harmonien. In seiner Rhythmik ist er meistens doch sehr regelmäßig, quadratisch. Die Melodik kann man auch nachvollziehen. Aber es fügt sich nicht alles so zusammen, wie früher.

Generell ist es ist schwierig, Busoni auf einen Stil oder auf ein Merkmal festzumachen. Das ist vielleicht auch das Problem. Es gibt Stücke von Debussy oder Ravel oder Prokofjew, da hört man zwei Takte und man weiß, von wem es ist. Sie haben eine definitive Handschrift. Busoni hat es nie angestrebt, einen ganz klar definierten Stil zu entwickeln. Er hat jedes Mal eine neue Lösung für ein musikalisches Problem finden wollen. Und so gibt es Werke von ihm, die sich kühn hereintasten in ein musikalisches Neuland und den Pianisten herausfordern. Es freut mich, dass nun – über 90 Jahre nach seinem Tod – Busonis Kompositionen wieder mehr Beachtung finden.

Banner zur Ausstellung Busoni. Freiheit für die Tonkunst!
© SPK / linksbündig

„BUSONI. Freiheit für die Tonkunst!“

Der Katalog zur Ausstellung – ein Musikerleben in 14 Essays

Vom 4. September 2016 bis 8. Januar 2017 erzählte die Ausstellung in der Kunstbibliothek in 11 Stationen aus Busonis Leben und Wirken: vom „Wunderkind” zum „Lehrer”, von den „Reisen” ins „Exil”. Sie wurde organisiert durch die Staatsbibliothek zu Berlin, das Staatliche Instituts für Musikforschung und die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin. Der Katalog vertieft die Ausstellung und beleuchtet erstmals Busonis universalistisches Interesse an Musik, Kunst und Kultur seiner Zeit.

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