Ein hellwacher Riese: Was passiert in der Staatsbibliothek?

News vom 27.04.2020

Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf und Claudia Martin-Konle, Leiterin der Benutzungsabteilung, schildern im Interview, warum die Staatsbibliothek zu Berlin trotz Schließung online hellwach blieb und wie nun die behutsame Öffnung vorbereitet wird.

Blick in den leeren Lesesaal der Staatsbibliothek
© SBB-PK

Die Bibliothek ist schon seit Wochen für die Öffentlichkeit geschlossen, aber dennoch gibt es weiterhin viel Bewegung in den Büros und den Magazinen.

Barbara Schneider-Kempf: Der Betrieb einer Bibliothek umfasst ja viele Ebenen, die alle von den Schließungen ab Mitte März unmittelbar betroffen waren. Im Normalbetrieb werden täglich über 500 Medien erworben sowie in die online-Kataloge und in den physischen oder elektronischen Bestand eingearbeitet, Lesesäle mit Freihandbeständen betrieben, die Nutzerinnen und Nutzer bei ihren Recherchen beraten und unterstützt, Bibliotheksausweise ausgestellt, täglich tausende Medien physisch nach Hause oder in die Lesesäle ausgeliehen, zugleich lesen hunderte Forscher online elektronische Dokumente, in den Werkstätten werden unsere wertvollen Bestände repariert oder digitalisiert, es werden die Häuser technisch ‚in Schuss gehalten‘ und die IT-Infrastruktur permanent überwacht und verbessert – all dies wurde plötzlich gestoppt, und zwar für alle in den Häusern üblicherweise Anwesenden. Natürlich haben wir unsere vier Standorte – die größten sind die Unter den Linden und an der Potsdamer Straße – nicht einfach zugeschlossen und verlassen, der Betrieb der Gebäude war jederzeit mit minimalen Besetzungen gesichert. Und parallel liefen ja viele elektronischen Angebote bruchlos weiter, man konnte recherchieren und viele der elektronischen Bestände problemlos nutzen. Inzwischen haben wir, mit sehr guter Resonanz, einige Services entweder auf den online-Bereich ausgeweitet oder aber wieder aufgenommen. Vieles ist von Home Offices aus planbar, praktisch aber müssen natürlich wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sein, deren Einsätze selbstverständlich jederzeit den allgemeinen Regelungen und notwendigen Hygienevorkehrungen entsprechen. Mein Fazit der letzten Wochen ist, dass der scheinbar schlafende Riese Staatsbibliothek online hellwach blieb.

Claudia Martin-Konle: Vom Bibliotheksalltag mit einer Kombination aus analogen und elektronischen Services und dem außergewöhnlichen Raumangebot mussten wir innerhalb kurzer Zeit auf eingleisig digital ohne Orts- und Zeitabhängigkeit umstellen. E-only oder E-preferred galt ab 14. März für alle noch möglichen Services: Online-Anmeldung für neue Leserinnen und Leser, Neuerwerbungen, Anschaffungsvorschläge, Dokumentenlieferung, Sammlungsvermittlung, Fachinformation und Kommunikation. Zunächst haben wir die Online-Anmeldung für einen Benutzerausweis möglich gemacht, das wurde sehr gut angenommen, denn nur mit einem gültigen Ausweis kann man in den unendlichen Kosmos an elektronisch vorgehaltener Literatur vordringen oder sich Dokumente liefern lassen. Sodann haben wir ab Mitte April die elektronische Dokumentenlieferung wieder aufgenommen, dafür müssen natürlich Mitarbeiter in den Magazinen unterwegs sein und das Scannen von Buchseiten erledigt werden. 

Wie bereiten Sie sich auf die Wiederaufnahme des normalen Benutzungsbetriebs vor?

Barbara Schneider-Kempf: Ein schlichtes Zurück zu den Routinen wird es angesichts der nun beschlossenen Lockerungen nicht geben. Die Infektionsgefahr besteht weiter, zu vieles rund um das Virus ist noch unbekannt, daher mahnt uns die Verantwortung für Beschäftigte und Publikum zu besonderer Vorsicht. Dienstpläne, Arbeitsabläufe, Bürosituationen, Wegeführung, Abstandswahrung, Hygienevorschriften – alles wird genau geprüft. Beispielsweise werden alternierende, kleinere und feste Serviceteams, die sich nicht begegnen sollen, im Ausleihbereich eingesetzt. Sollte ein Infektionsfall in einem Team auftreten, bleibt das andere Team einsatzfähig. Beengte räumliche Situationen müssen aufgelöst werden, Schutzverglasungen werden installiert, Prozesse verändern und verzögern sich. Der Zollstock ist ein beliebter Begleiter, die Verordnungen des Bundes und des Berliner Senats sind eine neue Standardlektüre.

Claudia Martin-Konle: „Danke für alles, aber wann öffnen Sie wieder?“ ist eine oft gestellte Frage, die wir nun beantworten können: Ab 4. Mai werden sich die Türen zum Foyer öffnen und die Ausleihe außer Haus wieder möglich sein. Allein am Vormittag des letzten Öffnungstages sind noch über 2.000 Bände aus den Magazinen bestellt worden, diese Bücher liegen seit über fünf Wochen zur Abholung bereit. Außerdem können dann wieder Bücher zurückgegeben und Ausweise vor Ort ausgestellt werden. Bestellungen aus den drei Magazinstandorten werden in einem zweiten Schritt sukzessive ebenfalls wieder möglich sein. Im E-Only-Modus bleiben vorerst die Beratungs- und Auskunftsdienste. Die von unserer Klientel schmerzlich vermisste Lesesaallandschaft an der Potsdamer Straße mit den über 830 Plätzen können wir jedoch in absehbarer Zeit nicht öffnen.* Vielleicht in einem weiteren Schritt im Laufe des Jahres, wenn die gesetzlichen Vorgaben es erlauben und wir auch eventuelle Sicherheitsauflagen erfüllen können: Mindestabstand zwischen Arbeitsplätzen, Schutzvorrichtungen an den Beratungsplätzen, Bereitstellung von Schutzmaterial u.a. Das muss verantwortungsvoll abgewogen werden. Allein im Januar besuchten an manchen Tagen über 2.500 Personen den Lesesaalbereich – das ist täglich nahezu eine Großveranstaltung. Doch selbst wenn es noch dauert, bis wieder Leben im Lesesaal in der Potsdamer Straße einkehrt und auch im Lauf des Jahres das Haus Unter den Linden durch den Brunnenhof betreten werden kann: We will meet again.

(* die Lesesäle Unter den Linden sind seit November 2019 ohnehin geschlossen, da die Wiederöffnung des gesamten Hauses nach der Generalsanierung vorbereitet wird.)

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